Peter Truschners beeindruckender Debütroman "Schlangenkind"
,
Schlangenkind ist der erste Roman von Peter Truschner. Die Geschichte, die er
erzählt, ist banal wie das Leben. Eine Frau lässt sich scheiden. Ihr Kind gibt sie zu den
Großeltern, verschuldeten Kleinbauern in Kärnten. (Der Ort, Poppichl, ist leicht
identifizierbar als Maria Saal, das seine Literaturtauglichkeit durch Thomas Bernhard,
Gerhard Lampersberg und Peter Turrini schon mehrfach bewiesen hat.) Hin- und
hergerissen zwischen dem Großvater, einem zwiespältigen Menschen, Trinker und
Spieler, und der gütigen, geschlagenen, geliebten Großmutter, einer Art
Schutzmantelmadonna zum Angreifen, wächst der Bub auf.
Es ist zwar nicht die Hölle, aber doch so ziemlich das Gegenteil dessen, was als
intakte Familie gilt. Wenn die Mutter zu Besuch kommt, blitzen kurz die Verhältnisse
und Konflikte ihrer Kindheit auf; inzwischen wartet der reiche Liebhaber in einem
Klagenfurter Hotel. Als der Bub ins Schulalter kommt, reißt sie ihn, es ist auch ein
Racheakt an den Eltern, aus dem Vertrauten und nimmt ihn mit nach Salzburg, wo sie
ihn bei einer Tagesmutter zwischenlagert.
Von da an zeichnet der Roman eine gegenläufige Bewegung: In dem Maße, in dem
die Mutter - sie wird auch nicht jünger - ihre erotischen Aspirationen und Aktivitäten
reduziert, richtet sie ihre Ansprüche und Erwartungen auf den Sohn. Umgekehrt
arbeitet er gezielt an seiner Loslösung von ihr. Der erste Koitus, vollzogen in der
mütterlichen Wohnung und in ihrer Gegenwart, ist auch ein Akt der Befreiung.
Peter Truschner, 1967 in Klagenfurt geboren, aufgewachsen in Maria Saal, Matura und
Studium in Salzburg, weiß offenbar, wovon er spricht. Und doch, oder besser gesagt,
gerade deshalb hat er mit diesem Roman einiges riskiert. Denn wenn es um die
österreichische Familienhölle, um Gefühlskälte, um Frauen- und Kindervernichtung
geht, schreibt einer hierzulande gegen die Hohen Tauern der österreichischen
Nachkriegsliteratur an. Er muss, um nur die markantesten Urgesteinsformationen zu
nennen, zumindest an Innerhofer, Wolfgruber, Handke, Jelinek, Winkler, Köhlmeier
und Widner vorbei.
Truschner hat diese Probe schon mit den ersten Sätzen des Buches bestanden. Sie
lauten: "Eines Tages war das Leben auf meinen Großvater herabgefallen wie ein
Tropfen Harz auf eine Fliege. Wer ihn kannte, schwor, dass er sich im Harz bewegte,
als wäre nichts weiter geschehen." In diesem Bild ist der Charakter des Mannes, der
dann über Seiten und Seiten beschrieben wird, vollständig enthalten: als Produkt und
als Opfer der Verhältnisse und gleichzeitig als Unberührter, Unbeirrbarer, auch
Unerreichbarer. Gleichzeitig ist es ein Bild, das seinem Gesichtskreis als Bauer und
Holzarbeiter entstammt. Dies gilt für das ganze Buch.
Der Erzähler spricht nicht aus einer Betroffenheit, er weist nicht auf seine Wunden von
damals, sondern er rekonstruiert kalten Blutes und kalten Auges, wissend, dass er
das Vergangene ohnehin nicht loswird. Er verbirgt nicht, was er mittlerweile gelernt
hat. Sein Beteiligtsein äußert sich nicht in Sentiment oder Lamento, sondern in
Distanz und der Genauigkeit der Beobachtung, im Finden und Erfinden des präzisen
Bildes. Er berichtet, wie es einmal heißt, mit den Augen eines Außenstehenden:
"Denn ein Teil von mir ist dieser Außenstehende und exekutiert durch mich täglich die
Welt jener Normen und Begriffe, der er entsprungen ist."
Das Stigma des Außenstehenden, des sozial Deklassierten, des Alleingelassenen
schärft den Blick für eine schmerzlich genaue Wahrnehmung von Rangordnungen und
sozialen Hierarchien, von Mangel und Unterschieden. Die Leistung des distanzierten
Blicks besteht darin, dass der Erzähler im Blick auf das Kind, das er war, nicht nur
dessen Verletzungen und Enttäuschungen wahrnimmt, sondern auch die Funktion, die
es in dem sozialen Räderwerk seiner Umgebung hatte, als ein Relais gleichsam,
über das die Gefühle, die Ansprüche und Gewaltakte der anderen liefen oder
ausgelöst wurden.
Das Resultat ist eine Genauigkeit und Schonungslosigkeit der Darstellung, die dieses
Buch, ebenso wie seine poetischen Bilder von teilweise unerhörter Prägnanz und
Stimmigkeit, in die Nähe der Bücher von Josef Winkler rückt.
( Von Klaus Amann -
DER STANDARD, Album, 18.8.2001)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.