"Wir fordern von Europa . . ., Wir kritisieren an Europa . . ." - das sind häufig gebrauchte Redewendungen. Wen meinen wir eigentlich, wenn wir von Europa sprechen? Eine Stadt wie Brüssel oder Straßburg? Ein Institution wie die Kommission oder das Europäische Parlament? Eine Person wie Präsident Prodi oder Kommissar Fischler? Vieles meinen wir, am wenigsten aber uns selbst. Dass Europa uns alle betrifft, ja von uns allen getragen wird, ist uns leider fremd. Europa sind "die da" in Brüssel, Europa ist gedanklich und geographisch weit entfernt. Und doch: Europa sind wir alle! Nicht "weit weg" Es gibt keine europäische Entscheidung ohne Österreich - das müssen wir uns immer vor Augen halten. Die wenigsten wissen aber, dass beispielsweise bereits über 80 Prozent der österreichischen Wirtschaftsgesetze ihren Ursprung auf europäischer Ebene haben - beschlossen durch und mit dem österreichischen Regierungschef bzw. einem Regierungsmitglied (Rat) und/ oder die österreichischen Europaparlamentarier. Europa ist also nicht "weit weg", sondern beeinflusst unser Leben hier und jetzt. So darf Europa nicht nur ein Anliegen derer sein, die in den europäischen Institutionen tätig sind oder derer, die über die Ereignisse in Brüssel berichten. Bleibt die Frage, warum so wenige Bürger das europäische Gemeinschaftsgefühl empfinden und die Vernetzung regionaler, nationaler und europäischer Ebenen und Interessen wahrnehmen. Drei Gründe sind für mich hauptverantwortlich für diese unbefriedigende Situation:
  • Information und Kommunikation der Regierungen - auch der österreichischen - über die Entscheidungen im Rat sind unzureichend. Ich habe den Eindruck, dass manche gar nicht wollen, dass jeder Bürger weiß, was, wann, wo, von wem, mit welchem Ziel und welchen Auswirkungen beschlossen wurde.
  • Die Legislativarbeit des Europäischen Parlaments, das in mehr als 70 Prozent aller Fragen Mitentscheidungsrecht hat (das heißt, dass ohne das Europäische Parlament in diesen Fragen nichts geht), wird in der (Medien-)Öffentlichkeit noch immer stiefmütterlich behandelt.
  • Die Regierungen der Mitgliedsstaaten, das heißt der Rat, wollen Europa zu sehr auf sich selbst reduzieren. Sie schwächen damit den öffentlichen Diskurs, die parlamentarischen Kontroll- und Mitentscheidungsrechte sowie die notwendige Transparenz für Entscheidungen.
Sehr treffend hat EU-Kommissar Franz Fischler am 21. Juli in Salzburg gemeint, "dass die Mitgliedsstaaten die Schuld für unpopuläre Beschlüsse ganz einfach nach Brüssel abschieben". Diese fehlende Bereitschaft aller Regierungen, für ihre in Brüssel getroffenen Entscheidungen im eigenen Land auch einzustehen, ist eine der Ursachen für die mangelnde Transparenz, Effizienz und Bürgernähe der EU. Die verstärkte Beteiligung der Parlamente - vor allem des Europaparlamentes - würde die Transparenz, die Kontrolle und damit die Vision eines "Europa der Bürger" stärken. Diese Ziele müssen in der aktuellen EU-Reform und durch eine Informationsoffensive verwirklicht werden. "Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle", sagte einer der Gründerväter der EU, Konrad Adenauer. Diese "Notwendigkeit" ist für uns alle Auftrag und Aufgabe zugleich. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen, die Regierungen, die Europaparlamentarier ebenso wie jeder einzelne Bürger - dann wird Europa nicht nur ein Europa der Vernunft und des Friedens sein, sondern auch die Seele erhalten, nach der wir uns sehnen. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 17.8.2001)