In New York und Washington sind derzeit Architekturausstellungen der Sonderklasse zu sehen: Ludwig Mies van der Rohe im Museum of Modern Art und im Whitney Museum, Frank Gehry im Guggenheim und Rudolph M. Schindler im National Building Museum. New York - Von Mies van der Rohe, 1938 aus Deutschland in die USA emigriert, stammt der berühmte Satz: Gott ist im Detail . Tatsächlich gelang es dem Whitney Museum, Mies' Forschen nach den göttlichen Gelenken - das imposante Zusammentreffen und Auseinanderstreben von Stahl, Glas und Ziegel - chronologisch aufzuzeigen. Mies suchte die ultimative Lösung; hatte er sie gefunden, legte er den Zeichenstift weg. Die ideale Gestaltung war sein Anliegen, nicht die Umsetzung. Die Eisenskelettbauweise, die er 1927 zum ersten Mal anwandte, kultivierte er in den USA bis zur technischen Perfektion. Sind die Gebäude für ihre Gelenke zu hoch, kann allerdings Langeweile eintreten. Mies' kleinere Bauten hingegen, zum Beispiel das berühmte Wochenendhaus für Edith Farnsworth in Illinois, sind spannungsgeladen, da alle Teile in absehbarer Nähe ihrer Definitionspunkte in den Ecken bleiben. Nur schwer kann man sich von Mies' hervorragenden Tuschezeichnungen losreißen, um ins Guggenheim zu wechseln, wo Frank Gehry als Teil der Installation seiner Show gewellte Titan-Baldachine über das Café installierte. Die Superstruktur der Stahlpfähle ruht auf einem Stahlgelenk, das Gottes Ratschlag nicht hören will: Der jedes statische Gesetz negierende Zusammenprall der winkeligen Flansche, der seine Logik in einem Diagramm fließender Kräfte findet, ist teuflisch. Diese Art von Stahlgelenk lässt Kontrollfreaks in die Knie gehen. Schindler im Schatten Vielleicht begann diese seismische Verlagerung allerdings bereits mit der zukunftsweisenden, immer unterschätzten Arbeit von Rudolph M. Schindler (1887 in Wien geboren, 1953 in Los Angeles gestorben). Schindler war tatsächlich der erste Modernist aus Europa und Star in Los Angeles, als Gehry seine ersten Schritte als Architekt tat. Doch über Mies sind die New Yorker viel besser informiert, und das nicht nur weil Manhattan "miesisch" ist: Seit 1945 hat ihm das MoMA nicht weniger als zehn Ausstellungen gewidmet. Schindler, ein Jahr nach Mies geboren, wurde bewusst ausgeschlossen - ein Fehler, wie Ausstellungsmacher Philip Johnson mit großem Bedauern zugibt. Schindler ist nicht der Einzige im Pantheon der MoMA-Vergessenen. Lang ist die Liste der disparicidos : Carlo Scarpa, Gio Ponti, Walter Gropius, Oscar Niemeyer, Erich Mendelsohn, Hans Scharoun, Pier Luigi Nervi, Tatlin und El Lissitzki. MoMA zieht es offensichtlich vor, seine Urteilsfähigkeit mit Eigenapplaus für Architekten zu bestätigen, die es bereits kanonisiert hat. Und Mies als Hof- und Hausarchitekt hat nun auch den dritten Stock des Whitney Museums in Beschlag genommen, das nicht einmal dem eigenen Marcel Breuer eine Retrospektive widmete. Im New-Yorker-Review des Seagram Building, das Mies 1958 vollendete, nannte Lewis Mumford die perfekt gestimmte bronzefarbene Stimmgabel ein - wenn auch kaltes - Meisterwerk. Die Temperatur von Schindlers Meisterwerken ist viel wärmer, da er die Maschine und industrielle Massenproduktion als Basis des Entwurfs ablehnte, weil seiner Meinung nach die Vielfalt die Natur des Lebens sei, nicht die Wiederholung. Er war meistens mit einem Pick-up-Truck unterwegs, beladen mit Holz und seinem Schäferhund; er war nicht der Mann der Ausstellungskultur in einem kulturell zentralistischen Land wie Mies, der seinen Ruf erwarb durch Ausstellungen. Aber Schindler, ausgebildet an der Technischen Hochschule Wien und der Akademie der bildenden Künste, zeichnete sich durch den exquisiteren Stammbaum aus. Während Mies bis in die 20er-Jahre plumpe Villen aus Ziegeln baute, hatte Schindler 1913 sein Manifest der "Modernen Architektur" schon geschrieben: ein Programm, in dem er prophetisch erklärt, der Architekt habe den Raum als sein Medium entdeckt. Eisen und Stahlbeton hatten die Architektur von der Mauer als tragende Funktion befreit. Bevor Mies also Häuser baute, hatte Schindler schon die Idee des Raums, der in verschiedene Dimensionen gleitet. Wie wir in der MoMA-Ausstellung "Mies in Berlin" sehen, hat Mies nie den niedrigen Plafond durchstoßen, der stets den Raum niederdrückt. In der Hügellandschaft bewegt er sich steif und schafft immer wieder Innenhöfe, als ob es darum ginge, einen Tempel zu bauen. Trotz der abstrakten Sprache bleibt Mies Klassizist. Mit der Schindler-Retrospektive ist es hingegen gelungen, den unschätzbaren Beitrag aufzuzeigen, den der Wiener für die Befreiung des Modernismus geleistet hat, und der schließlich die Offenbarungen eines Frank Gehry ermöglichte. Als Architekt, der immer auf der Baustelle zu finden war, ließ er sich mit dem Grundstück ein und überließ ihm die Kontrolle des Baus, was eine Komplexität der Strukturen herbeiführte, die zur Basis einer spezifischen und nicht universellen Architektur heranwuchs, die Gehry so brillant umsetzt. Die beseeltesten Elemente in den Entwürfen von Mies sind die Bäume, die er mit großzügiger Hand zeichnet. Gehry entwirft die Gebäude mit derselben Großzügigkeit: Denn er will Bäume bauen. Stellt sich die Frage, ob Schindler für New York als Vorläufer der neuen Komplexität nicht die zeitgemäßere Wahl gewesen wäre. Das heißt nicht, Schindler sei besser als Mies; auf diesem Niveau ist Ranking ohne Bedeutung. Beide Mies-Retrospektiven sind durch erstmals gezeigte Objekte äußerst informativ. Beide sind der Wurmfortsatz musealer Vorverurteilung, die auf die erste MoMA-Architekturausstellung vor 70 Jahren zurückgeht. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. 8. 2001)