STANDARD: Ist die Last durch die Erinnerung an die NS-Zeit für Nürnberg nicht zu erdrückend, um als Chance verstanden zu werden?

Sonnenberger: In den vergangenen zehn Jahren hat sich ein Bedeutungswandel vollzogen, auch wegen des Generationenwechsels. Es sind die Töchter, Söhne und Enkel, die dezidierter Fragen stellen. In den späten 90er-Jahren begriff man die Last auch als Chance aufzuklären. Seit wir die Errichtung des Dokumentationszentrums betreiben, haben wir in sieben Jahren nur zwei Dutzend Protestbriefe zumeist Älterer bekommen. Sie meinten: Muss man das machen, kann man das nicht auf sich beruhen lassen? Aber das ist für ein Projekt dieser Größe zu vernachlässigen.

STANDARD: Haben Sie Angst, dass Nürnberg Wallfahrtsort für Ewiggestrige wird?


Sonnenberger: Was uns optimistisch macht, dass wir keine Anlaufstelle werden, ist die Erfahrung mit unserer bisherigen Ausstellung auf dem Gelände. Die Botschaft ist kompromisslos. Wir hatten deshalb kein Problem mit Auftritten von Rechtsradikalen. Das Gelände eignet sich nicht dafür.

Hier müssten Zigtausende aufmarschieren, um einen optischen Effekt zu erzielen, der sich mit ein paar Dutzend am Grab von Rudolf Hess erreichen lässt. Wir tun auch alles, um deutlich zu machen, wohin das Faszinosum geführt hat: zu einer Katastrophe.

STANDARD: Wie man bei der Plakataktion für das Holocaust-Mahnmal sieht: Ist die Gefahr, missverstanden zu werden, nicht groß?

Sonnenberger: Man hat keine andere Wahl, als das Risiko einzugehen. Die Leute kommen so oder so, ob man versucht, sie aufzuklären oder nicht. Mit einer Ausstellung hat man die Chance, der Legendenwirkung entgegenzuwirken. STANDARD: Würden Sie mit einem so provokanten Spruch wie die Mahnmal-Initiatoren werben? Sonnenberger: Da kommt man sofort in ein schiefes Licht, wenn man für ein Projekt wie unseres wirbt. Dann würde es heißen, die Nürnberger versuchen noch, Kapital aus ihrer Geschichte zu schlagen. STANDARD: Können Sie Proteste gegen das Hotel am Obersalzberg nachvollziehen?


Sonnenberger: Zum Hotel will ich mich nicht äußern. Mit der Dokumentation Obersalzberg ist ein mehr als respektabler Aufklärungsversuch unternommen worden.

STANDARD: Wie kann man NS-Geschichte jungen Menschen noch vermitteln? Sonnenberger: Zeigefingerpädagogik ist kontraproduktiv. Nur den Blick nach rückwärts zu richten, ist ein pädagogischer Schlüssel, der sich abnützt. Es gibt Mechanismen, die heute noch am Wirken sind. Zum Beispiel bei der Frage nach den Menschenrechten oder der Frage von Krieg und Frieden. Hier muss man fragen: Was lernen wir aus der Vergangenheit? Eine Videoclipdarstellung ist nicht das, was wir wollen. Wir setzen zwar zum Beispiel Computer-Touchscreen ein, aber nicht übertrieben. Wir versuchen einen Mix aus traditioneller Museumssprache und modernen Mitteln. Wir wollen dabei ein anderes Bild der Parteitage zeigen als die damalige Naziprogaganda. STANDARD: Gelten Sie als Nestbeschmutzer? Sonnenberger: Nein. In Nürnberg hat man inzwischen gesehen, dass es kein Nachteil ist, sich ehrlich und ungeschminkt mit der Vergangenheit auseinander zu setzen. Das war ein Lernprozess. Viele haben befürchtet, dass zum alten ein neuer Makel kommt. STANDARD: In Deutschland wurde vom Schriftsteller Martin Walser, in Österreich durch Rudolf Burger die Forderung nach dem Ende des Erinnerns erhoben. Sonnenberger: Das ist kompletter Unfug. Erinnerung ist ein Teil der menschlichen Existenz. Wer so etwas fordert, betreibt das Geschäft der Ewiggestrigen. Das ist gefährlich. Wenn in der Walser-Rede ein Körnchen Wahrheit war, dann die Frage nach dem Wie der Erinnerung. Wenn es uns nicht gelingt, junge Menschen zu erreichen, müssen wir unsere Konzepte infrage stellen. Aber nicht das Erinnern an sich. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 16.8.2001)