Nein, es ist nicht Bill und nicht Monica, nicht das Eiswasser, das ungefragt serviert wird oder die atemberaubende Luftfeuchtigkeit, es ist auch nicht das billige Benzin, und es sind auch nicht die übergroßen Pseudogeländewagen. Nach sechs Jahren als Auslandskorrespondent in Washington fand ich endlich eine Antwort auf die Frage, die mir alle stellen: Was wird dir am meisten abgehen? Nach langem Nachdenken ist es mir plötzlich gekommen - und ich verrate nicht, wo: Es ist das Klopapier, Dummkopf (um ein bekanntes Zitat leicht abzuwandeln). Es ist so angenehm weich und zart, nicht so rau wie in Österreich. Ich kann damit sogar meine Brillen putzen. Noch ein amerikanisches Produkt wird uns sehr fehlen. Es sind die Morgenzeitungen, oder genauer, die Plastikhüllen, mit denen die Zeitungen verpackt sind, die vor der Haustüre landen. Ein ideales Instrument, um den Kot unseres Hundes zu entsorgen. Wie sollen wir ohne dieses Sackerl in Wien zurechtkommen? Ach ja, in Österreich tut das ohnehin niemand. Immerhin hat mein Aufenthalt in den USA dazu beigetragen, dass ich ein anderes, ewiges Rätsel der Heimatstadt von Sigmund Freud lösen konnte. Ich habe mich immer gefragt, warum die Wiener so langsam vor sich hinschlendern, ihren Kopf nach unten gebeugt, während die Amerikaner immer in Eile sind und dabei gerade nach vorne schauen, wenn nicht sogar nach oben. Man könnte diesen Umstand mit den Depressionen erklären, die Freud seinen Landsleuten herausanalysieren wollte, aber ich weiß nun, warum ihm das nicht gelungen ist: Indem sie auf die Straße schauen und dabei vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, gelingt es den Österreichern, dem Hundekot auszuweichen, der die Straßen so einzigartig schmückt. Aber ich will meinen amerikanischen Kollegen gegenüber nicht unfair sein und so tun, als würden mir nur die Plastikhüllen der Zeitungen abgehen. In Zukunft werde ich auch ohne den Inhalt auskommen müssen, diesen exzellenten tiefschürfenden Berichten, von der Armut in Albanien bis zu den Zulus in Zimbabwe. Nicht ganz so sicher bin ich freilich, ob ich auch den Berichten über Österreich hundertprozentigen Glauben schenken kann. Waren es tatsächlich "Menschenrechtsverletzungen", die die EU dazu veranlassten, Sanktionen gegenüber Österreich auszusprechen, wie Jim Hoagland in der "Washington Post" schrieb? Oder würden die Österreicher wirklich "einen Anschluss an Deutschland dem Beitritt zur EU vorziehen"? Diese Behauptung stammt von Thomas Friedman in der New York Times. Ganz abgesehen von Dan Rather von CBS, der am Tag der Regierungsbildung die Nachrichten so begann: "Ein Echo aus der Nazizeit mit ihrer antisemitischen Einstellung löst Angst und Zorn in Europa aus . . . nachdem ein ehemaliger Fan von Adolf Hitler die Macht in Österreich ergriffen hat." In Zukunft werden wir auch mit unserer Version des Winters zu kämpfen haben und nicht mit der, die die lokalen TV-Wetterfrösche erfinden. Nur weil ein paar Flocken fallen könnten, erzeugen sie eine Hysterie, die dazu führt, dass Schulen schließen, Bundesbedienstete den Tag freibekommen und die Hauptstadt der letzten Supermacht quasi zusperrt. Andererseits werden wir auch den Humor vermissen. Nur in den USA kann man Trauerreden halten, bei denen die Hinterbliebenen zum Lachen gebracht werden. Wir werden uns auch schwer von einer anderen typisch amerikanischen Eigenschaft trennen können - der Verrücktheit um die Privatsphäre. Immer wenn wir uns etwa in einem extrabreiten Gang im Supermarkt aufhielten - und lange bevor wir einen anderen Menschen wahrnahmen -, hörten wir schon ein entschuldigendes "Verzeihen Sie bitte". In Österreich läuft das anders ab. Da wird man eher angerempelt und dann angeschrien: "Hearn S', ham S' kane Augn!" Uns wird National Public Radio abgehen, die Möglichkeit, im Geschäft alles umtauschen oder zurückbringen zu können, die weiten Parkplätze, die rauchfreien Restaurants, die wunderbar liberalen Lehrer und, ja natürlich, das weiche Toilettenpapier. Nur von diesem ist es uns gelungen, ein Paket in den Übersiedlungscontainer zu schmuggeln - es wird sich auch als praktisch erweisen, wenn es gilt, die Tränen einer Familie zu trocknen, die Heimweh nach den USA hat. Eine leicht gekürzte Version dieses Artikels erschien Sonntag in der "Washington Post". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 8. 2001)