Der eine, ein Uni-Rektor, kritisiert die Bildungsministerin scharf, weil sie sich angeblich über minus 70.000 Studierende im Herbst freut, und die andere, pro tempore ÖH-Vorsitzende, brandmarkt die ministerielle Bezeichnung "Scheininskribenten" in Österreich als "aufgewärmten Mythos". Viel Beifall gibt es offensichtlich nicht für die jüngsten Aussagen vom Platz der "minderen Brüder" in Wien. Dabei hat Ministerin Gehrer nur ausgesprochen, was viele Rektoren und Hochschulfunktionäre gleichfalls denken - nämlich dass die Studiengebühren, die erstmals im Herbst 2001 eingehoben werden, vorwiegend die "Karteileichen" vom Inskribieren abhalten werden. Wie man diese Leichen definiert und wie viele es tatsächlich sind, weiß man freilich nicht. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat sich das österreichische Wissenschaftsministerium zumindest seit Frau Firnberg kaum um aussagekräftige Kennzahlen und Studienverlaufsstatistiken gekümmert. Denn bekanntlich ist im Dunkeln gut munkeln. Und an diesem dunklen Gemunkel besteht ein vielseitiges Interesse. "Belastungszahlen" Die Bildungspolitik selbst kann sich mit 226.000 Studierenden an Österreichs Universitäten (ohne Kunst- und Fachhochschüler) stolz auf die Brust klopfen; die österreichische Hochschülerschaft bekommt für jeden Inskribierten ein schönes Kopfgeld und auch die Aufwandsentschädigungen der Universitätsfunktionäre sind nach der absoluten Zahl der Studenten gestaffelt. Ganz zu schweigen von den beliebten "Belastungszahlen", mit denen Professoren und der Mittelbau üblicherweise ihre Forderungen nach mehr Lehrkräften untermauern. Wer sollte hier ein Interesse an genauen Zahlen haben? Das Dasein im Anschein ist ein durchaus erträgliches. Bis auf einige Momente. Bei der ÖH ist es jedesmal die Wahl. Denn da Karteileichen nicht wählen gehen, sieht die Wahlbeteiligung entsprechend verheerend aus. Überfällige Aktion Ein vergleichbares Waterloo erleben jetzt die Universitäten durch die Studiengebühren. Da die Studienbeihilfen gleichzeitig spürbar verbessert wurden, werden im Herbst vor allem diejenigen aufgeben, die schon jetzt nach der Devise leben: "Probieren geht über studieren." Die versuchen alles, von der Medizin über Betriebswirtschaftslehre, Jus, Psychologie bis hin zum Lehramt, oder sie arbeiten schon längst in einem Job und bleiben inskribiert, weil dadurch vieles billiger ist. Das alles leistet man sich aber nur, wenn man dafür nichts bezahlen muss. Und so hab' ich die Frau Ministerin Gehrer auch verstanden: Sie freut sich über mehr ehrliche Zahlen. Und die sind überfällig. Österreich hat auf dem Papier 226.000 Studierende an den Universitäten - bei 26.000 Studienanfängern jährlich und ganzen 13.000 Erstabsolventen. Man hat sich bislang gehütet, diese Zahlen mit unseren Nachbarn zu vergleichen. Beispielsweise mit Bayern, das bekanntlich nicht acht Millionen, sondern zwölf Millionen Einwohner hat und das es lediglich auf 150.000 Universitätsstudierende bringt - bei ebenfalls 26.000 Studienanfängern jährlich und 14.500 Erstabsolventen. Interessanter Vergleich Ebenso interessant ist die Schweiz mit sieben Millionen Einwohnern, die 95.000 Universitätsstudenten zählt, bei 18.000 Studienanfängen jährlich und 9100 Absolventen. Unterstellt man nun nicht, dass Österreichs Studierende deutlich dümmer und/oder fauler als ihre nördlichen und westlichen Nachbarn sind, dann bleibt wohl nur der Schluss, dass keineswegs alle der 226.000 Inskribierten auch tatsächlich studieren. Es dürften vielmehr realistisch geschätzt auch in Österreich nur 150.000 sein, die mit einem international vergleichbaren Ernst an die Absolvierung ihrer Studien herangehen. Falls diese Zahl stimmt, werden im Herbst 2001 tatsächlich 70.000-80.000 weniger inskribiert sein - aber mit einer für die Universitäten äußerst fatalen Folge. Dort wird sich nämlich, was den Andrang in den Hörsälen, Kursen und Seminaren betrifft sowie die miserablen Verhältniszahlen zwischen Lehrenden und Studierenden, so gut wie nichts ändern. Es werden vor allem im Bereich Medizin, Psychologie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und Jus mit 1:50 bzw. 1:120 weiterhin die drei- bis sechsfachen Lehrer-Studierendenverhältniszahlen gelten wie im OECD-Durchschnitt. Ein erster Schritt Das heißt, mehr Ehrlichkeit, das ist der erste Schritt. Der zweite muss entweder eine deutlich bessere Ausstattung sein oder eine - international übliche - Auswahl der Studierenden. So wie es ist, kann es ohne Qualitätsverlust nicht bleiben. Auch wenn die Karteileichen weg sind. *Der Autor, bekannt geworden als Vordenker der steirischen VP, lehrt Zivilrecht an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Erschienen im Print-Standard vom 09. August 2001.