Die an der Wiener Börse notierte und seit Ende Juni im Ausgleich befindliche Buch- und Medienhandelskette Libro AG hat heute, Mittwoch, zur Aufarbeitung ihrer Vergangenheit angesetzt: In die Bilanz für das abgelaufenen Geschäftsjahr 2000/01 (per 28. Februar) wurden sämtliche Altlasten gepackt, woraus ein Minus-EGT von rund 2,1 Mrd. S (153 Mill. Euro) resultiert. Verlust weit höher als bisher angenommen Der Verlust ist damit noch weit höher als bisher angenommen. Bei der heutigen außerordentlichen Hauptversammlung im morbiden Ambiente der Sofiensäle wurde außerdem von rund 150 anwesenden Aktionären ein neuer Aufsichtsrat gewählt und eine aktienrechtliche Sonderprüfung gemäß § 118 Aktiengesetz beschlossen, die die Verantwortung für das Libro-Desaster klären soll und vom ehemaligen Finanzminister Andreas Staribacher durchgeführt werden soll. Libro-Neo-Vorstandssprecher Werner Steinbauer gab sich vor den Aktionären indes überzeugt davon, dass der Libro-Ausgleich am 21. September von den Gläubigern angenommen wird. Schwerer Ergebniseinbruch Wie aus den - nach wie vor vorläufigen - Zahlen für 2000/01 hervorgeht, sackte das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (EGT) bei einem Umsatz von 5,57 Mrd. S auf minus 2,069 Mrd. S (nach plus 3 Mill. S im Jahr 1999/2000) ab. Das EBITDA (Ergebnis vor Abschreibungen und Zinsen) drehte von plus 242 Mill. S auf minus 1,099 Mrd. S. Das aus Kapitalverzehr resultierende negative Eigenkapital führt aus heutiger Sicht zu einer bilanzmäßigen Überschuldung von 1,3 Mrd. S. Der Jahresverlust stieg von 59 Mill. S auf 2,5 Mrd. S. Der neue 6-köpfige Aufsichtsrat Der neue 6-köpfige Aufsichtsrat besteht aus dem Wiener Neustädter Rechtsanwalt und Insolvenzspezialisten Norbert Kosch (72), dem Linzer Betriebswirt Hans Rohregger (60), dem Ex-Wienerberger-Vorstand Paul Tanos (56), dem Steuerberater Günter Tik (46), vormals Billa-Finanzvorstand sowie den beiden Betriebsräten Werner Kratochwil und Getrude Dunkel. Die bisherigen Libro-Aufsichtsräte hatten ihr Mandat zwischen Ende Mai und Ende Juni zurückgelegt. Rückbehaltungsrecht der Vorstandsgehälter Das neue Gremium wird sich in seiner ersten Sitzung an diesem Freitag Nachmittag nicht nur mit der tiefroten Bilanz beschäftigen, sondern muss auch die noch immer aufrechten Dienstverträge der ehemaligen Vorstände kündigen, die zwar ihr Mandat zurückgelegt haben, deren Gehälter jedoch für Juli und August weiter bezahlt wurden. Ein Rückbehaltungsrecht sei geprüft, aber wieder verworfen worden, weil eine Nichtausbezahlung der Gehälter ein begründetes Rücktrittsrecht der ehemaligen Vorstände und damit ein Wiederaufleben ihrer erst im Vorjahr auf weitere 5 Jahre verlängerten Verträge bewirkt hätte, sagte Steinbauer. Sanierung dauert mindestens zwei Jahre In der Erfüllung des Ausgleichs liege man derzeit "relativ gut", berichtete Steinbauer. Für die Libro-Sanierung, die mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen werde, sei allerdings ein Partner notwendig. Von März bis Juni 2001 sei der Umsatz um 40 Prozent eingebrochen. Im Juli lag die Tageslosung laut Steinbauer um rund 13 Prozent unter dem vom Beratungsunternehmen Roland Berger vorgegebenen Plan, in den vergangen zwei Wochen hätten sich die Umsätze aber stabilisiert: "Die Maßnahmen beginnen zu greifen", so Steinbauer. In den Filialen sei wieder frische Ware eingelangt, die Mitarbeiter seien motiviert. Auch eine zweite Werbekampagne sei geplant. August - Monat der Entscheidung Bis Mitte August soll geklärt sein, wie viele und welche Libro- und Amadeus-Filialen geschlossen werden. Laut Bilanz werden dafür Schließungskosten von insgesamt 177 Mill. S anfallen, u.a. für den Ausstieg aus den teils auf 15 Jahre abgeschlossenen Mietverträgen. Offen ist weiterhin, wieviele Mitarbeiter abgebaut werden müssen. "Ich rechne nicht damit, dass wir die Zahl der 450 beim Frühwarnsystem des AMS angemeldeten Mitarbeiter überschreiten werden", betonte Steinbauer. Libro beschäftigte vor der Ausgleichsanmeldung rund 3.000 Mitarbeiter. In Deutschland seien alle Filialen bis auf die Abverkaufsfiliale in Berlin bereits zu, die dort mit 60 Mill. S bezifferten Schließungskosten werden laut Steinbauer halten. Bis August muss Käufer für Lion.cc gefunden sein Für die Libro-Internettochter Lion.cc muss indes bis spätestens Ende August ein Partner gefunden sein, sagte KPMG-Geschäftführer und Libro-Mehrheitaktionär Gottwald Kranebitter zur APA. Derzeit zeichne sich eine Fortführungslösung mit zwei bis drei neuen Partnern - u.a. mit der deutschen Metro-Tochter Primus Online - ab. Für den Libro-Ausgleich sei aus dem laufenden Geschäft von Lion.cc nichts zu befürchten, sagte Steinbauer vor den Aktionären. Das einzige Risiko seien Schadenersatzansprüche, die die an Lion.cc beteiligte WAZ im Konkursfall erheben könnte. Die Konzernforderungen von Libro an Lion.cc wurden im Ausmaß von 569 Mill. S in der Bilanz 2000/01 abgeschrieben. Auch die anderen Libro-Töchter (Entertainment GmbH, CeDe GmbH Schweiz) stehen weiter zum Verkauf. Kleinaktionäre machten Ärger Luft Die 150 bei der HV anwesenden Kleinaktionäre machten heute ihrem Ärger über den Kursverfall der Aktie und die schlechte Informationspolitik mit zahlreichen Wortmeldungen Luft, obwohl immer wieder auf die Tagesordnung verwiesen wurde. Allerdings konnten sich die Kleinaktionärsvertreter gegen den Mehrheitsaktionär Kranebitter heute nicht durchsetzen, ein Antrag des Wirtschaftsanwalts Wolfgang Leitner, den Obmann des Interessensverband der Anleger (IVA), Wilhelm Rasinger, in den Aufsichtsrat zu wählen, wurde abgelehnt. Auch der von Leitner vorgeschlagene Sonderprüfer Peter Wolf wurde nicht bestellt. Die Libro-Aktie startete - unbeeindruckt von der tiefroten Bilanz - heute fester in den Tag und stieg bis 11:30 Uhr um rund 19 Prozent auf 2,50 Euro. Am frühen Nachmittag rutschte das Papier jedoch ins Minus und lag gegen 17 Uhr bei 2,00 Euro (minus 4,67 Prozent). (APA)