Nahost
Khatami gibt sich nach Vereidigung kämpferisch
Iranischer Präsident findet deutliche Worte gegen das geistliche Establishment
Teheran - Der iranische Präsident Mohammad Khatami hat seine Antrittsrede nach seiner um mehrere Tage verzögerten
Vereidigung am Mittwoch zu einer ungewöhnlich deutlichen Kampfansage an das schiitische geistliche Establishment genutzt. Er bleibe der
Reformpolitik trotz des hohen Preises verpflichtet, der dafür gezahlt werden müsse, sagte der 57-Jährige in seiner mehrfach von Beifall
begleiteten Rede vor dem Teheraner Parlament. Reformpolitiker warnt
Engstirnige Ansichten und zunehmende Gewalt unter dem Deckmantel des islamischen Glaubens könnten zu einer gesellschaftlichen
Gegenreaktion und zur Trennung von Staat und Religion führen, warnte der Reformpolitiker. Khatami warb für seine Vorstellung einer
islamischen Demokratie im Iran, für die sich auch die Mehrheit der Landsleute mit ihrer Wahlentscheidung ausgesprochen habe. Er war am 8.
Juni mit 76,9 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Seine Reformpolitik war in der ersten vierjährigen Amtszeit immer wieder von den
konservativen Kräften blockiert worden.
Die ursprünglich für vergangenen Sonntag geplant gewesene Angelobungszeremonie hatte sich wegen eines Streits zwischen dem
reformorientierten Parlament und dem konservativen geistlichen Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei verzögert. Die Vereidigung Khatamis
wurde dadurch ermöglicht, dass das Parlament (Majlis) sich dem Spruch eines von Konservativen dominierten Schlichtungsausschusses
beugte, nachdem es vergangenen Freitag überraschend fünf für den islamischen Wächterrat vorgeschlagene Rechtsgelehrte abgelehnt hatte.
Das Gremium aus zwölf Mitgliedern kann jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz mit seinem Veto außer Kraft setzen. Es kontrolliert die
Vereinbarkeit von Gesetzen mit den islamischen Prinzipien.
Kritische Bilanz
Khatami zog in seiner Antrittsrede eine kritische Bilanz derartiger Kraftproben zwischen Reformern und Konservativen in seiner ersten
vierjährigen Amtszeit und erklärte: "Ich leiste diesen Eid, um mein Versprechen an die Nation zu erneuern, die mich sehenden Auges trotz der
Probleme und der Krise wiedergewählt hat, die daraus entstanden."
Khatami, der von Justiz-Chef Ayatollah Mahmud Hashemi Shahroudi vereidigt wurde, sagte weiter: "Wir haben einen hohen Preis bezahlt, um
diesen Weg zu gehen. Teile des Establishments haben schweren Schaden erlitten. Wir hätten mehr für einen geringeren Preis erreichen
können." Während der ganzen Zeremonie lächelte der sonst freundliche moderate Geistliche kein einziges Mal - etwas, was bei einem
öffentlichen Auftritt des Präsidenten bisher höchst selten vorkam. (APA/AP)