STANDARD-Mitarbeiterin Irene Bazinger

Innsbruck - Opernleute sind im Wesentlichen friedliche Leute. Aber wenn es ihnen irgendwann reicht, wird's ungemütlich. Alle Opernhäuser in die Luft zu sprengen, empfahl 1967 polemisch zugespitzt Pierre Boulez, den der Betrieb verdross. Regisseurin Karoline Gruber, damals kaum den Windeln entwachsen, schaut nicht gerade wie ein anarchischer Feuerteufel aus. Sobald es indes um das geht, was sich oft auf Opernbühnen tut oder eben nicht tut, kennt sie kein Pardon:

"Da könnte ich Bomben werfen!", empört sie sich angesichts der Tatsache, dass zwischen Kiel und Klagenfurt zu oft dasselbe, hundertfach gesehene, fade Arien-Durchsteh-Theater passiert. Seit rund zehn Jahren arbeitet die 1965 bei Graz Geborene gegen die statuarische Komm-Sing-Geh-Routine an, und seit knapp zwei Jahren nun wieder in Österreich: Jetzt mit ihrer Inszenierung von Haydns Il mondo della luna auch bei den Innsbrucker Festwochen.

Ein Heimspiel

Festivalchef René Jacobs dirigiert die Koproduktion mit der Berliner Lindenoper, wo die Aufführung in den letzten Wochen einstudiert wurde. Für Gruber ein willkommenes Heimspiel: Sie lebt seit 1998 in Berlin, obwohl hier zum Kaiserschmarren manchmal Schlagsahne serviert wird. Doch die deutsche Theaterlandschaft blüht trotz etlicher Kahlschläge nach wie vor.

Insofern kann Gruber dort ihre Vorstellung von Musiktheater leichter realisieren: Stücke auf ihren aktuellen Gebrauchswert hin abklopfen, sie ins Hier und Heute holen. Den Werken gegenüber sei es nur fair, wenn sie in die Pflicht der Zeitgenossenschaft genommen würden. Schließlich waren sie einmal Gegenwartskunst. Durch die mit jetzigen Mitteln zurückeroberte "sinnliche Unmittelbarkeit" vermag auch die Musik ganz anders unter die Haut zu gehen. So ist Richard Wagners Elsa bei Gruber nicht mehr die devote Erlöserin, sondern schmeißt Lohengrin ob seiner Verstocktheit am Schluss hinaus. Puccinis Mimi wiederum stirbt allein, weil ihre fidelen Fun-Freunde mit Tod nichts zu tun haben wollen.

Dieses Prinzip Gegenwart verfolgte sie mit flotter Konsequenz. Zwei Besuche in der Wiener Staatsoper reichten aus: Gruber, keine zwanzig, verkaufte ihre weiße E-Gitarre, gab die Pop-Pläne auf. Alles Oper: Dem Studium der Musik- und Theaterwissenschaft in Wien folgten Lehrjahre als Assistentin in Basel und bei Regisseuren wie Berghaus, Freyer, Kupfer, Zadek.

Inszenierte Exoten

Mitte der 90er war Gruber Oberspielleiterin in Linz, eine Zeit lang dann auch fest in Kassel, inzwischen arbeitet sie frei. Quer durch die Lande hat sie bewegt-bewegend Repertoire wie Exoten inszeniert, Mozart und Verdi, Matthus und Rihm. Darüber hinaus reizen sie neben den kaum bekannten Opern von Komponistinnen die Werke Janáceks oder Monteverdis - "richtige Krimis!"

Je nackter und präziser die Opern erzählt werden, desto lebendiger wirken sie, sagt Gruber. Sie setzt sich am liebsten Kopfhörer auf und löscht das Licht, um ihnen ohne jede Ablenkung auf den Grund, auf den Akkord zu kommen. Alles fließt: So findet sie die Bilder, die ihren Inszenierungen etwas von der Suggestivkraft des Films mit seiner unzensierten Schaulust und dem Morgengruß ans Unbewusste geben.

Da wird, wie jetzt bei Haydn, ein artiges Wohnzimmer zur Cocktail-Lounge und auf dem Bügelbrett ganz reizend ein Papphuhn zerlegt: "Ich kann meine Assoziationen nur aus der heutigen Zeit nehmen, eine andere habe ich doch nicht erlebt." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 8. 2001)