Wohl wurde Christian Thielemann nach dem Bayreuther "Parsifal" vom Publikum (insgeheim vielleicht schon als neuer Festspielleiter) gefeiert. Doch die eigentliche Überraschung bot diesmal Wolfgang Wagners verräterisch schlüssige szenische Gestaltung.

von Peter Vujica


Bayreuth - In Zeiten, in denen Exkremente (Cornelius Kolig) und der Verdauungsapparat, in dem sie entstehen (Wim Delvoyes), längst kunstsalonfähig sind, wird wohl keiner etwas daran finden, wenn auf einer Bühne, und wäre es die des Bayreuther Festspielhauses, die kristallinen Strukturen der Sklerose dominieren.

Die kantigen Klötze, mit denen Wolfgang Wagner seinen Parsifal dekoriert und über deren simpel gehandhabte Multifunktionalität man sich viele Male hinlänglich ärgerte - heuer, in ihrem letzten Dienstjahr, suggerierten sie im Umfeld so etwas wie konzentrierte Schlüssigkeit:

Wohin man blickt (und auch hört) in diesem Parsifal: Erstarrung, Kalk, Ritual. Ein pseudoreligiöses und möchtegern-freimaurerisches Biotop voll siecher Wesen. Der ganze Gral eine Qual, sogar für seine Chefs Amfortas und Titurel. Durch diese Kunstvenen geht kein Blut mehr durch.

Dass Wolfgang Wagners Inszenierung diese Stimmung gerade heuer auf nahezu beklemmend triumphale Weise fängt, verdichtet und vermittelt, hat mehrere Gründe: Durch den intensiven Einsatz neuer Lichteffekte bekommt vor allem das Klingsor-Bild flimmernden Zirkuscharakter, zu dem die in abstraktes Blau getauchte Gralsburg wirksam kontrastiert.

Das mag museal anmuten, doch gerade im Vergleich mit der mystizistischen inszenatorischen Andeutungswut, mit der Keith Warner etwa Wagners frühe Gralsoper, den Lohengrin, verwirrt, signalisiert diese Parsifal-Gestaltung Wolfgang Wagners nicht zu unterschätzenden vitalen Pragmatismus, der alle bänglich auf seinen Rücktritt als Festspielleiter hoffenden Widersacher allmählich zur Verzweiflung bringt. Apotheose der Sklerose. An Gestein haben sich schon viele ihre Zähne ausgebissen.

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Dass die szenische Lebenslust des Parsifal so augenfällig werden konnte, mag auch daran liegen, dass Christian Thielemanns mit größter Spannung erwartete musikalische Leitung doch nicht zu jener singulären und zwingenden Intensität fand, die man sich erhofft hatte und, nach dem donnernden Jubel zu schließen, der danach losbrach und später auch lesbar wurde, vielfach auch tatsächlich zu erleben vermeinte.

Obwohl gerade der Parsifal durch die Mäßigung der Tempi und durch die Wahl der wenig chromatischen und verstärkt tonalen Tonsprache von Richard Wagner der spezifischen Bayreuther Akustik förmlich maßgeschneidert wurde, dürfte das Orchester nach einer Götterdämmerung und nach den Meistersingern an den beiden glühend heißen Vortagen für die von Thielemann durch schwungvolle Tempi angepeilte Modellwiedergabe einfach zu erschöpft gewesen sein.

Unverstörtes Ritual

Wie auch der Jubel über Violeta Urmanas Kundry nicht ganz nachvollziehbar ist. Der Ton macht zwar die Musik, aber noch lange nicht das Musiktheater. Und diesem blieb die neue Kundry fast alles an der für diese Partie unerlässlichen kreatürlichen Präsenz schuldig. So blieb das sklerotische Ritual, das Poul Elming in der Titelpartie, Matthias Hölle als Gurnemanz sowie Andreas Schmidts Amfortas und Hartmut Welkers Klingsor abwickelten, völlig unverstört.

Vielleicht war dieser Jubel für Thielemann als zustimmendes Votum des Festspielpublikums für die kolportierten Pläne Wolfgang Wagners zu verstehen, den Pultstar in die Leitung der Festspiele maßgeblich einzubinden. Da würde dann das Parsifal-Märchen vom edlen Jüngling, der die müden Gralsrecken erlöst, Bayreuther Wirklichkeit.

Im Hinblick auf die Bayreuther Publikumsreaktionen ist Antonio Pappano, der einen in Lyrik und Dramatik vor Spannung vibrierenden Lohengrin dirigierte, unter seinem Wert und Peter Seifferts zweifellos eindrucksvolle, aber doch ziemlich uneinheitliche Leistung als Titelheld überbewertet worden.

Bayreuth ist eben ungerecht. Richard Wagner war es auch.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 8. 2001)