Wovor mancher schamhaft die Augen senkt, da öffnet sie Josef Winkler in überwacher Klarsicht: Auf dem kreatürlichen Entstehen und Vergehen des Lebens, den körperlichen Realitäten des Todes und der Verwesung ruht der Blick des Kärntner Autors. Mit fotografischer Präzision notiert er die Bilder in seinen Notizbüchern. Wiederholt zog es Josef Winkler nach Indien, vor allem in die heilige Stadt Benares, wo der Tod noch heute im Straßenbild präsent ist.

Dieser bisher unveröffentlichte Text sowie die zahlreichen Fotografien, die er gemeinsam mit seiner Frau Christina Schwichtenberg in Indien aufgenommen hat, laden ein zu einem offenen Blick auf ein anderes Indien, als es in Reiseführern zu finden ist.

Schäumender Speichel tropfte vom behaarten Unterkiefer der wiederkäuenden, im seichten Flusswasser stehenden schwarzen Wasserbüffel und fiel, Fäden ziehend, langsam in den Fluss. Die Blasen des klebrigen Speichels trieben, bis sie zerplatzten, unter den Schnauzen der Wasserbüffel auf der Wasseroberfläche des bleifarbenden Ganges. Raben saßen auf den Rücken und Köpfen der Wasserbüffel und fraßen Ungeziefer aus ihrer Haut. Ein Rabe krallte sich am Ohr eines Wasserbüffels fest und pickte mit seinem langen, an der Spitze leicht gebogenen Schnabel immer wieder in die Ohrmuschel hinein.

Aufgeschreckt vom Schrei des halbwüchsigen, einen Lendenschurz mit Tigerfellmuster tragenden Jungen mit dem Nasenring, der an seinem Hinterkopf ein geringeltes, bis zu seinem Halswirbel hinunterreichendes Haarzöpfchen trug, flatterten mehr als fünfzig grüne Papageien mit roten Schnäbeln aus den Löchern und Nischen des elektrischen Krematoriums. Als der einen zweiten Schrei ausstoßende Junge, ein Bündel Räucherstäbchen in seiner Hand haltend, neben dem ewig brennenden heiligen Feuer über einen auf der Treppe liegenden, in farbige Tücher eingewickelten und auf eine siebensprossige Bambustragbahre aufgebundenen Toten sprang, hoben die halbwüchsigen, einen Lendenschurz tragenden Bauernjungen, die am Ufer des Ganges mit verknoteten und zusammengelegten Stricken die Köpfe der Wasserbüffel abrieben, ihre Häupter und blickten hinauf zum ewig brennenden heiligen Feuer, an dem vorbei ein glatzköpfiger, kleiner Junge ein weißes, in seinen Armen strampelndes Zicklein über die Steinstiege hinunter zum Einäscherungsplatz trug. Der Junge putzte seinen Mund am Fell des meckernden und mit den langen, dünnen Beinen in seinen Armen strampelnden Tieres ab.

Neben einer ihren nackten dreijährigen Knaben waschenden, einen blauweißgestreiften Sari tragenden Frau übergab der Junge mit Nasenring die Räucherstäbchen einem Mann, der mit ein paar anderen jungen Männern vor dem Leichnam eines kleinen, von Kopf bis Fuß in ein dünnes weißes Baumwolltuch eingewickelten toten Kindes hockte. Ein Mann öffnete auf der Brust des Kindes den Knoten des Baumwolltuchs und entblößte sein Gesicht. Am rechten Nasenflügel trug das tote Mädchen, das weit aufgerissene Augen hatte, einen vergoldeten Ring. Der weinende und laut schluchzende Vater träufelte das heilige Gangeswasser in die Nasenlöcher seiner kleinen Tochter.

Der nackte dreijährige Knabe begann zu weinen und zu schreien, strampelte mit seinen Beinen und stemmte seine Füße gegen eine warme Steinstufe, als ihn seine einen blauweißgestreiften Sari tragende Mutter wenige Meter vor einem vorbeischwimmenden schwarzen Ziegenkadaver in den heiligen Fluss eintauchen wollte. Die Hörnerspitzen der toten Ziege überragten die unruhige Wasseroberfläche ein paar Zentimeter. Während zwei junge Männer den Kinderleichnam mit einem Hanfstrick auf einen schweren, flachen Stein banden und den Strick auf der Brust des toten Mädchens verknoteten, hockte der laut weinende Vater, das Gesicht in den Händen verborgen, auf der Steinstiege nieder.

Zwei andere Männer hoben den Leichnam aufs Boot und ließen sich von einem Domra, dem sie fünfzig Rupies gegeben hatten, an den bauchtief im Fluss stehenden Wasserbüffeln vorbei, in die Mitte des Ganges hinausrudern. Einer der beiden neben dem Kinderleichnam sitzenden Männer schwenkte über dem Kopf der Toten ein Bündel stark qualmender Räucherstäbchen. Noch bevor das Kind in der Flussmitte, gegenüber dem Einäscherungsplatz des Harishchandra Ghat, über den anderen am Grunde des Ganges liegenden Kinderleichen versenkt wurde, fasste am Flussufer ein Mann den weinenden und sich langsam von der Treppe erhebenden Vater unter der Achsel und legte den Arm um seine Schultern. Ohne sich noch einmal umzudrehen - das tote, auf den Stein aufgebundene Kind platschte in den Ganges hinein -, gingen sie gemeinsam über den warmen Sandhügel hinauf, aufs ewig brennende heilige Feuer zu. Josef Winklers Indien-Roman "Domra" (1996), sowie alle weiteren seiner Bücher sind im Suhrkamp Verlag erschienen. Im Juli wird sein neuestes Werk, die Novelle "Natura Morta" herauskommen. Für das unveröffentlichte Manuskript wurde Josef Winkler vor wenigen Wochen in Berlin mit dem renommierten Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet.