Wien - Die englische Performancegruppe Forced Entertainment transzendiert seit 1984 in ihren künstlerischen Arbeiten die Bedingungen ihres Schaffens. Mittlerweile ist sie mit ihren ungewöhnlichen Produktionen eine der Konstanten im europäischen Festivalbetrieb. Zur heutigen Eröffnung des Festwochen-Festivals im Wiener Künstlerhaus Du bist die Welt stellt Tim Etchells, der Kopf der Gruppe, erstmals ein Solostück vor. STANDARD: Forced Entertainment kam in den letzten Jahren mit grundlegend verschiedenen Performanceformen nach Wien, etwa dem fünfstündigen Frage-Antwort-Spiel Quizoola oder der 24-Stunden-Performance Who can sing a song to unfrigthen me . Jetzt zeigen Sie ein Solostück. Warum dieser ständige Wechsel der Form? Etchells: Es gibt in unserer Arbeit mehrere Schwerpunkte: Zum einen entwickeln wir Formen, die sich um den Faktor Zeit drehen, zum anderen arbeiten wir eher textlastig, wie etwa in Dirty Work , einer Produktion, die wir letztes Jahr in Wien zeigten. Zudem gibt es eine Serie von Stücken, die sich mit den Bedingungen unserer Arbeiten beschäftigen und die gewissermaßen eine Mischform zwischen theoretischem Vortrag und Performance sind. Das ab heute gezeigte Solostück Instructions for Forgetting gehört zu letzterer Gruppe. STANDARD: Ihre Arbeiten scheinen einer permanenten Entgrenzung unterworfen zu sein. Etchells: In erster Linie gehen wir vom Material aus, das uns zur Verfügung steht. In der jetzigen Performance sind das Videobänder, die mir Freunde aus aller Welt, nachdem ich sie dazu aufgefordert habe, zugeschickt haben. Auf der Bühne ist dann allerdings die Authentizität, die Präsenz und damit die Verletzbarkeit des Spielers oder der Spieler wichtig. Ich möchte die Spieler, die oft keine Profis sind, kämpfen sehen! Dabei sollte sich das, was auf der Bühne geschieht, nicht von dem unterscheiden, was auch im gewöhnlichen Leben passieren könnte. STANDARD: Den Arbeiten Ihrer Gruppe ist das Etikett "Live Art" umgehängt worden. Sehen Sie Ihre Arbeiten auch unter diesem Label? Etchells: In England fungiert dieser Begriff wie ein Regenschirm, unter dem sich ganz unterschiedliche Künstler zusammenfinden, die am Rande des herkömmlichen Theaterbetriebs stehen, die aus der Performancekunst kommen, aus dem Kabarett oder die vorher Videoinstallationen machten. Aber diese Szene ist sehr heterogen. STANDARD: Durch Forced Entertainment hat die Industriestadt Sheffield einen Namen als Performance-Stadt bekommen. Warum arbeiten Sie weitab von größeren Zentren? Etchells: Als wir anfingen, wollten wir vor allem aus politischen Gründen im Norden Englands arbeiten. Wir können so unmittelbarer auf das reagieren, was um uns herum geschieht. Abgesehen davon, dass wir uns Proberäume in London einfach nicht hätten leisten können. Mittlerweile ist der Ort, wo wir arbeiten, aber nicht mehr so wichtig. Wir sehen uns in einem europäischen Kontext. STANDARD: Sie touren seit einigen Jahren von Festival zu Festival. Etchells: Solange wir wissen, was wir wollen, habe ich kein Problem damit. Du bist die Welt zum Beispiel ist ein wunderbarer Kontext für uns. Manchmal spielen wir aber auch nur wegen des Geldes. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. 5. 2001)