Kunst
"Junge Szene" im "Experiment"
Secessions-Reihe stellt Frauen in den Vordergrund und thematisiert Identitäts- Konstruktionen
Wien - Eine Zwischenbilanz der Ausstellungsreihe "Das Experiment" ziehen und die in
deren Rahmen ab 30. Mai präsentierten Arbeiten von Florence Lazar und Apichatpong
Weerasethakul stellte Secessions-Präsident Matthias Herrmann am Dienstag vor.
"Das Experiment" führt die 1983 eingerichtete Secessions-Ausstellungs-Reihe "Junge
Szene" weiter, die, ursprünglich als zwei- bis dreijährliche Sommerausstellung der
lokalen Szene konzipiert, sich allmählich über den Wiener und österreichischen Raum
hinaus entwickelte, sowohl auf der Ebene der Künstler als auch der Kuratoren.
Secessions-Vorstands-Mitglied Dorit Margreiter entwickelte im Vorjahr im Auftrag des
Vorstands ein neues Konzept in Form einer über das ganze Jahr (von 7.3. 2001 bis
31.1. 2002) verteilten Ausstellungsreihe, wobei sie selbst zwei Ausstellungen
kuratierte und für die weiteren sechs andere Kuratorinnen engagierte - durchwegs
Frauen.
Frauen im Vordergrund
"Das entspricht unserem Bedürfnis, Frauen mehr in den Vordergrund zu stellen", so
Margreiter. Secessions-Präsident Herrmann bekannte, er sei erst in der
Auseinandersetzung mit den Künstlerinnen und Kuratorinnen belehrt worden, dass
auch heute noch Künstlerinnen es schwerer hätten als ihre männlichen Kollegen.
"Christian Krawagnas Satz, der Kunstmarkt habe jeweils nur eine Frau pro
Künstlergeneration zugelassen - etwa Valie Export, Maria Lassnig, Brigitte Kowanz, für
die Gegenwart ist es noch nicht entschieden - ist vielleicht überspitzt, aber zutreffend."
Das spiegle auch die Geschichte der Secession wider, die 1949 die ersten weiblichen
Mitglieder aufnahm und 1964 erstmals einer Künstlerin (Hildegard Joos, und dann
wieder erst 15 Jahre später Florentina Pakosta) eine Einzelausstellung im Hauptraum
widmete. "Vielleicht ist 'Das Experiment' eine historische Chance dazu beizutragen,
dass sich die Situation ändert", so Hermann.
Verknüpfung von "junger" und "experimenteller" Kunst hinterfragen
Der neue Name der Reihe solle u.a. die automatische Verknüpfung von "junger" mit
"experimenteller" Kunst in Frage stellen, so Margreiter. Präsentiert werden sollen
internationale KünstlerInnen, die einem breiten Publikum bisher kaum bekannt waren.
Viele von ihnen studieren allerdings noch. Für Herrmann bietet "Das Experiment" aber
gerade noch studierenden Künstlern einen geschützten Raum, sich vorzustellen.
"Früher war es ja viel schwieriger für junge Künstler, in Institutionen auszustellen.
Heute stürzen sich die Galerien auf junge Künstler. Sie werden direkt von der
Hochschule auf den Kunstmarkt gezerrt, etwa in den alle drei Monate stattfindenden
kommerziellen Meisterklassen-Ausstellungen. Das ist problematisch, u.a. weil der
Markt zu 98 Prozent den klassischen Werkbegriff erfordert. Die bei uns vertretenen
Künstler hingegen arbeiten fast alle prozessorientiert."
Identitätskonstruktionen
Im Rahmen der kommenden Schau "Das Experiment 4" thematisiert Kuratorin Ulrike
Kremeier unter dem Titel "x-lands / extended" Identitätskonstruktionen unter den
Prämissen kultureller, politischer und sozialer Veränderungen. Momente der
Zuschreibung von "Außen" werden dabei gegen den Blick von "Innen" gestellt
beziehungsweise damit verbunden. Zu sehen sind Videos und Fotos der Französin
Florence Lazar (von 30. Mai bis 14. Juni) und des thailändischen Künstlers und
Dokumentarfilmers Apichatpong Weerasethakul (15. Juni bis 1.Juli).
Reflexionen
Lazar, geboren 1966 in Paris, begann auf Grund enger familiärer Verbindungen nach
Serbien 1998 den Themenkomplex "Identitäten" zu reflektieren. Arbeitete sie bis dato
mit dem Medium der Porträtfotografie, so wählte sie nun mehr im Rahmen einer
Recherchenreise im ehemaligen Jugoslawien das Video. Im Video "Les Paysans / Die
Bauern" (1999/2000), das in seiner Komposition mit der Genretradition des Tableau
vivant spielt, beschreibt ein serbischer Weinbauer beim Sortieren der Reben die
politischen Entwicklungen seiner Heimat und seine eigen Position.
In "Si je suis pas devenu fou, je dois etre anormal / Sollte ich nicht verrückt geworden
sein, muss ich abnormal sein" (1999/2000) kommen Leute zu Wort, die in den
Kosovo-Krieg verwickelt waren. "Confrontations / Konfrontationen" (1999) hingegen
entstand in Paris. Aufgenommen in privaten Räumen zeigt das Video zwei
Generationen der Familie Lazar - die Mutter der Künstlerin ist Serbin - im Streit über
die Legitimation der Nato-Interventionen.
Exotik
Apichatpong Weerasethakul, Jahrgang 1970, thematisiert und ironisiert in "Thirdworld"
(1998) die Sichtweite des Westens auf Thailand und andere als exotisch geltende
Kulturen und Länder. Präsentiert in bewusst "unprofessioneller" Bildqualität, unterlegt
er Aufnahmen der "Idylleninsel" Panyi, die gleichermaßen realistisch und dennoch als
metaphorisch zu begreifen sind, mit Gesprächen über die realen Lebensbedingungen
auf der Insel.
"Like the relentless fury of the pounding waves" (1995) ist ein experimenteller
Dokumentarfilm, in dem fragmentarisch verschiedene individuelle Lebensläufe
angerissen werden. Den roten Faden und somit die narrative Verbindung zwischen
den unterschiedlichen Handlungssträngen und deren Personen bildet das Programm
eines Radiosenders, der hauptsächlich Radio Soaps, ein in Thailand enorm
populäres Genre zeitgenössischer Hörkultur, ausstrahlt.
Zum Ausstellungswechsel von Florence Lazar zu Apichatpong Weerasethakul findet
am 14. Juni um 18 Uhr ein Screening des Filmes "Reminiscences of a Journey to
Lithuania" (1971/72) von Jonas Mekas statt.
(APA/red)