Wien - Vally Weigls Mann und Kompositionslehrer Karl Weigl war der Berühmtere. Er zögerte bis 1938, Österreich zu verlassen, die Korrepetitorenstelle in der Staatsoper aufzugeben, die Vergangenheit aufzugeben. Die Emigration ist für ihn viel mehr als für sie ein Abstieg. Bis 1938 schreibt Karl Weigl Musik, in der er unironisch Dvorák und Beethoven zitiert und natürlich Mahler-Verehrung anklingen lässt. Einiges von Karl Weigls Musik ist noch ungehört; sein Klavierkonzert, das er für die linke Hand Paul Wittgensteins schrieb, noch unaufgeführt . . .

An die Wittgensteins und ihre musikgeschwängerte, bildungseifernde Familiensituation erinnert das Geschwisterverhältnis, das Vally mit ihrer jüngeren Schwester Käthe hatte: Bildung und Musikausübung als Messlatte für Mutterliebe. Jeder Muttertag eine Vorspielprüfung am Klavier und im Gedichteaufsagen. Alles Lernen - Tanz, Gymnastik, Sprachen - nicht ernst gemeint. Sicher nicht als Berufsausübung.

Ihre ganze Kindheit und Jugend lang leidet Vally unter der Bevorzugung ihrer jüngeren Schwester Käthe. Eine Augenkrankheit in der Kindheit, die bei Schwester Käthe zu einer akademisch-politischen Karriere führt, entwickelt sich bei Vally zu einer lebenslangen Leseschwäche. Hier irgendwo beginnt der Weg zur Musiktherapie: statt lesen fühlen und hören.

Der Kampfgeist, den sie in ihrer jüdischen Familie gelernt hat, wird sie zu einer Friedensaktivistin machen, schließlich erkennt sie: Kunst kann mehr als Politik. "Wenn jeder Vortrag und jedes Pamphlet vergessen sein wird, wird man sich noch an eine Zeile eines Liedes erinnern."

Für die Mutter ist das Leben unlebenswert, als Käthe 1938 von der Gestapo verhaftet wird. Vally Weigl überredet ihren Mann zur Emigration, rettet damit ihre Familie. Mit Klavierunterricht trägt sie zum Überleben der Familie bei. 200 Werke - Lieder, Kammermusik - entstehen. Nach dem Tod ihres Mannes (1949) die neue Karriere: "Anstoß" zur Musiktherapieausbildung ist eine Schulterverletzung. Musikhören erleichtert während der schmerzhaften Physiotherapie die Heilung; eine Erfahrung, die sie weitergeben will. Ein Studium an der Columbia-Universität führt zum Master's Degree mit 59, sie bekleidet danach leitende Positionen an Kliniken in New York. Sie wird in hohem Alter zur Kämpferin gegen jegliche Rassentrennung und zur Frauenaktivistin: "Wir brauchen kein internationales Jahr der Frauen, sondern ein Jahrhundert der Frauen!" (Irene Suchy/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 5. 2001)