Berlin - In der "Protokollaffäre" in Deutschland gibt es neue Spekulationen über eine gezielte Indiskretion von US-Seite, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Libyen zu durchkreuzen. Die "Welt am Sonntag" berichtete, die BASF-Tochter Wintershall befinde sich in einem Bieterverfahren mit Shell, BP und Total Fina um Anteile an einem staatlichen Ölfeld in Libyen. Der Vorgang habe zu Verärgerung in Washington geführt. Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages befasst sich am kommenden Mittwoch mit der Affäre. Im Berliner Bundeskanzleramt und in der SPD-Führung geht man laut Zeitungsmeldung davon aus, dass heikle Passagen aus dem Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush von amerikanischen Stellen gezielt an die Öffentlichkeit lanciert wurden. Ein Regierungssprecher in Berlin sagte dazu, das seien Spekulationen, an denen man sich nicht beteilige. Im Zeitungsbericht hieß es jedoch, wegen des Bieterverfahrens sei es beim USA-Besuch von Außenminister Joschka Fischer in diesem Monat zu politischen Spannungen gekommen. So sei Fischer von den Senatoren Jesse Helms (Republikaner) und Joseph R. Hiden (Demokraten) aufgefordert worden, dass die Kasseler BASF-Tochter damit aufhören solle, auf US-Kosten Geschäfte zu machen. Ein US-Firmenkonsortium, das einen 40-prozentigen Anteil an dem strittigen Ölfeld hält, musste sich laut Bericht nach dem blutigen Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" wegen der US-Sanktionen aus dem Libyen-Geschäft zurückziehen. Seitdem werde der Anteil von Tripolis treuhänderisch verwaltet. In dem laufenden Bieterverfahren gehe es um die restlichen 60 Prozent, hieß es. Schröder und Fischer wollen Affäre bereinigen Schröder und Fischer wollen Anfang der Woche die Affäre bereinigen, die sich nach einem Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" zur Belastung für die Koalition ausweiten könnte. Dabei geht es um Fischers Vertrauten Jürgen Chrobog, der Botschafter in Washington ist und im Juli Staatssekretär im Auswärtigen Amt werden soll, sowie um den außenpolitischen Kanzlerberater Michael Steiner. Chrobog ist Autor des umstrittenen Protokolls über das Gespräch zwischen Schröder und Bush am 29. März, dessen Geheimhaltungsstufe eventuell zu niedrig angesetzt war. Steiner hatte es möglicherweise übersehen, das Protokoll in einer ihn und den libyschen Staatschef Muammar el Gaddafi betreffenden Passage zu korrigieren. Steiner und Chrobog sollen auf Antrag der Unionsfraktion auf einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses am Mittwoch angehört werden. Wie das Protokoll an die Öffentlichkeit gelangen konnte, ist weiterhin offen. Eine extra eingerichtete Task-Force hat bisher keine Hinweise auf eine mögliche Quelle der Indiskretion gefunden. (APA/AP)