Das "Museum des Wiener Aktionismus" wird eröffnet. Die ehemalige Kommune setzt einen letzten Schritt der Öffnung. Die aktionistische Vergangenheit ist endgültig Geschichte geworden. Ganz still hängt es da und bescheiden, verschämt fast. Schwarze Einsprengsel im steinernen Grau, der zusammengekratzte Rest aus der Mischmaschine, in der sie ein wenig Zement mit grobem Sand herumgerührt haben. Ungeduldig hat der Maurer mit seinem unsauberen Glättbrett noch quer über das ausgegossene Quadrat gewischt und so die unsauberen Fahrer hinterlassen, die sich nun, da der Beton fest geworden ist, in der Kunstgeschichte verewigen wollen. "Otto Mühl hat also Betonbilder gegossen?" Gitta Verlei, die gerade dabei war, an den bunten, knalligen Bildern aus Otto Mühls "Kommunephase" vorbeizuführen, stutzt. Betonbilder? Dann lächelt sie. "Ach nee, Asche ist das." Es müsse das Jahr 1988 gewesen sein, jedenfalls war "die Sache mit Herrn Mühl" schon am Laufen. Der Druck der normalen Welt hinter der kilometerlangen Mauer, die die Kommunarden ums 20 Hektar große Areal des Friedrichshofes gezogen haben, wurde stärker von Tag zu Tag. Die Justiz untersuchte "die Übergriffe", die Gendarmerie konnte jeden Augenblick mit einem Hausdurchsuchungsbefehl anklopfen, da entschlossen sich die Bewohner zu einer letzten, symbolischen Aktion, die so frappant an die Welt jenseits der Mauer erinnert, dass dies kein Zufall sein kann. Die Friedrichshofer, die fünfzehn Jahre zuvor den alten, habsburgischen Meierhof inmitten der landwirtschaftlichen Öde der Parndorfer Platte zu neuem, ja allerneuestem Leben erweckt hatten, schichteten kunstvoll einen Scheiterhaufen und verbrannten alle möglichen Aufzeichnungen. Otto Mühl, der Mann, der aus dem benachbarten Gols in die Großstadt gezogen war, um mitzuhelfen, der Welt den "Wiener Aktionismus" zu schenken, mischte die Asche mit Leim und strich sie auf frische Leinwände. Eine letzte, dramatische Geste; die dem Aktionismus angemessene Reaktion aufs fundamentale Scheitern. Jetzt, etwas mehr als ein Jahrzehnt später, ist das alles penibel in den Kunstgeschichten verzeichnet. Und der Friedrichshof, der sich zu einer Wohnungsgenossenschaft gewandelt hat, vollzieht diesen Schritt von der privaten Geschichte ins Geschichtsbuch nun nach. Heute wird dort das "Museum des Wiener Aktionismus" eröffnet. Rund um das Werk von Otto Mühl gruppiert sich hier die umfangreichste Sammlung des wohl gewichtigsten österreichischen Beitrags zur jüngeren Kunstgeschichte. Innere Logik Relikte, gewiss. Denn weit mehr als in anderen ästhetischen Konzeptionen ist hier das Werk bloß das Resultat seiner Entstehung. Diese, nicht das braun gewordene Blutbild des Hermann Nitsch, nicht die Gerümpelskulptur des Otto Mühl, ist das Gewichtige. Deshalb folgt es einer inneren Logik, das Werk des Otto Mühl und seiner Kollegen im Friedrichshof zu präsentieren, der ja selbst ein solches Relikt ist, das idyllische Freiluftmuseum eines auch ästhetischen Gegenentwurfs, so lange entlangbalancierend an der Grenze zwischen der Kunst und dem Leben, bis schließlich die equilibristischen Fähigkeiten allmählich versagten.

"Der Otto", manchmal, aber wirklich nur manchmal spricht Gitta Verlei, die Kuratorin des Aktionismus-Museums, von "Herrn Mühl" per Otto, "der Otto hat ja die Kom- mune als sein Kunstwerk betrachtet." Zu Beginn konzentrierte er seine ästhetische Energie tatsächlich aufs Sozia- le. "Aber bald schon packte er, wenn es schön war, die Staffelei." Und bald schon immer öfter. Hunderte Bilder ent- standen in dieser Zeit, in der "Kommunephase", fast manisch wanderte Mühl quer durch die Kunststile; grobstrichige Expressionismen, monochrome Meditationen, kühl Popartiges. Nachdenklich und frustriert, fröhlich und energiegeladen, frustriert und gewalttätig. "Aber das", sagt Gitta Verlei und zeigt auf eines der Schlachtungsbilder, "ist immer diesseits der ästhetischen Grenze geblieben."

Der dem Kommunenwerk des Otto Mühl gewidmete Raum ist der erhellendste des Museums. Nicht nur, weil es sonst keine Sammlung in dieser Geschlossenheit gibt, sondern wohl auch, weil die Beziehung der Museumsbetreiber dazu die innigste ist. Entstehungsgeschichtlich sowieso, und dann gab es den jahrelangen Rechtsstreit, wem diese Bilder aus einer Zeit, in der alle ausdrücklich aufs Privateigentum verzichtet hatten, nun privat gehören sollten. Begonnen wird die ständige Schau mit den Aktionen der Frühzeit. Das Museum verfügt über den Nachlass des deutschen Fotografen Ludwig Hoffenreich, der zahlreiche Mühl-Aktionen dokumentierte. Im Gegensatz zu den Filmen, die sich als Kunstwerke verstanden, werden die Aktionen auf diese Weise in ihrem Ablauf nachvollziehbar. Normale Bewohner Und damit eine Zeit, in der es vielen Menschen denkbar und wünschenswert schien, der Welt ein umfassendes Kontramodell erfolgreich gegenüberzustellen. Am burgenländischen Friedrichshof dauerte diese Zeit bis zum Ende der Achtzigerjahre. Dann begann die Phase der Öffnung. Noch gab es, ein paar Kilometer östlich der Friedrichshofer Mauer, den rostigen Eisernen Vorhang, da verlangte eine immer größere Gruppe der Kommunarden eine deutlich formulierte demokratische Struktur, was in einer Urabstimmung auch beschlossen wurde. Nach Verhaftung und Verurteilung von Otto Mühl gab sich der Rest der Kommune juristisch nachvollziehbare, genossenschaftliche Regeln. "Normale Bewohner" zogen ein, einige Grundstücke am Rand des Areals wurden aufgeschlossen und verkauft. Eine Sozialinitiative zur Betreuung psychisch Behinderter ließ sich nieder. Jetzt erfolgt der letzte Schritt dieser Öffnung. Neben dem Museum wird auch ein Dreisternhotel für Seminargruppen eröffnet. Der Friedrichshof, diese idyllische Oase inmitten der horizontweiten Steppe, klinkt sich ein in den Tourismus am Neusiedler See. Seine aktionistische Vergangenheit ist Geschichte geworden. Geronnen zu einem Aschebild, das da ganz still hängt, bescheiden und grau. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 5. 2001)