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Politstreit und Finanzkrise
Ungarns öffentlich-rechtliches Fernsehen steht vor dem Zusammenbruch - Marktanteil nur mehr bei zehn Prozent
"Unser öffentliches Image ist ziemlich schlecht." Ferenc Köszegh, der neue
Kommunikationsdirektor des öffentlich-rechtlichen Ungarischen Fernsehens MTV, tritt
gleich die Flucht nach vorne an. "Wir haben zu viele Mitarbeiter, ernste finanzielle
Probleme und müssen unseren Platz im Wettbewerb erst finden", sagte Köszegh im
Gespräch mit der APA in Budapest. Nur mehr etwa zehn Prozent der ungarischen
Fernsehkunden wählen das Programm von MTV.
Geschwächt wurde der Sender auch durch den seit 1998 anhaltenden politischen
Kampf um die Besetzung des MTV-Kuratoriums. Nach dem Gesetz stehen von den
acht Sitzen vier der Opposition zu. Die oppositionellen Sozialisten und Liberalen
boykottieren das Gremium, weil die rechtsextreme Kleinpartei MIEP zwei
Oppositionssitze beansprucht, obwohl sie im Parlament in allen wichtigen Fragen mit
der Regierung stimmt und ihr damit im Kuratorium de facto zur entscheidenden
Zwei-Drittel-Mehrheit verhelfen würde. "Natürlich macht das unsere Arbeit nicht gerade
leichter", meint Köszegh.
Der politische Streit verhinderte bisher auch die Übernahme wichtiger
EU-Bestimmungen im Bereich Medien. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi
persönlich brachte das Thema bei seinem jüngsten Besuch in Budapest zur Sprache.
Köszegh hofft nun auf ein Einlenken der Politiker: "Es gibt Zeichen, dass man eine
Lösung finden wird. Vielleicht brauchen wir überhaupt eine strategische Lösung, mit
der die gesamte Situation neu geordnet wird." Einen Vorstoß in diese Richtung
machten vor wenigen Tagen die Liberalen, die den völligen Rückzug aller Parteien aus
dem MTV-Kuratorium vorschlugen. Die Regierung reagierte darauf jedoch nicht.
Politische Manipulation
Nach Ansicht von Beobachtern hat der Konflikt dazu geführt, dass die Regierung
praktisch ungehindert Einfluss auf MTV nehmen konnte. Die "International Federation
of Journalists" schrieb in einem Ende März veröffentlichen Bericht: "Der
öffentlich-rechtliche Rundfunk, insbesondere das Fernsehen, ist durch politische
Manipulation und bewusste Vernachlässigung bis zur Zerstörung geschwächt
worden". Ein ungarischer Medienkritiker ergänzt: "MTV ist praktisch tot. Es ist heute ein
Vermarktungsinstrument der Regierung, der 95 Prozent der politischen
Berichterstattung gewidmet werden."
Köszegh widerspricht dieser Ansicht: "Beschwerden über politische Einseitigkeit wird
es immer geben." Aber auch er räumt ein: "Natürlich sind wir ein Staatssender und
müssen daher der Regierung entsprechend Raum geben". So hat Ministerpräsident
Viktor Orban jeden Mittwoch zur besten Sendezeit ein Interview im staatlichen Radio
Kossuth, auch im Fernsehen kommt er ausführlich zu Wort und Bild. Die Opposition
hingegen wird nach Ansicht von Kritikern entweder ignoriert oder geradezu verächtlich
gemacht.
Mehr als 1.000 Mitarbeiter eingespart
Neben den politischen Sorgen hat MTV massive finanzielle Probleme. Mehr als 1.000
Mitarbeiter wurden in den letzten Jahren eingespart. Derzeit halt man bei etwa 1.700
ständigen und 3.000-4.000 freien Mitarbeitern, berichtet Köszegh. Jahrelang konnte
sich der Sender nur durch staatliche Finanzspritzen und den Verkauf von
Liegenschaften am Leben erhalten. Das ist vorbei: "Wir haben alle Reserven
aufgebraucht", so Köszegh. Der aktuelle Schuldenstand beträgt nach seinen Worten
elf Milliarden Forint (42,6 Mill. Euro/586 Mill. S). Die Gehälter der Angestellten werden
"im Durchschnitt" mit drei bis vier Monaten Verspätung ausgezahlt.
RTL-Klub und TV2 am beliebtesten
Während das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ungarns am Ende ist, floriert die private
Konkurrenz. Seit 1997 zugelassen, sind heute RTL-Klub und TV2 die mit Abstand
meist gesehenen Sender des Landes. Dazu kommen Dutzende lokale Stationen im
ganzen Land sowie mehrere Satellitensender. Die privaten Sender arbeiten nicht nur
wesentlich kostengünstiger, sondern haben mittlerweile auch bedeutend höhere
Werbeeinnahmen. Auf eine politische Berichterstattung verzichten sie weitgehend. "Sie
steigen höchstens auf große Skandale ein", meint ein Beobachter. Immerhin bieten
diese nämlich, was das Hauptziel der privaten Sender sei - Unterhaltung.
"Im Wettbewerb mit den Privaten haben wir keine Chance", weiß Köszegh. "Das ist wie
der Kampf zwischen einem Boulevardblatt und einer Qualitätszeitung." Dennoch ist er
sicher: "MTV wird überleben. Dafür gibt es auch den politischen Willen." Dass es auch
"politischer Wille" war, der den Sender in seine heutige Notlage gebracht hat, erwähnt
er nicht. (APA)