Italiens künftiger Wirtschaftsminister, Giulio Tremonti, sieht der EU-Osterweiterung mit gewissen Zweifeln entgegen. "Die Erweiterung wird, aber erst zu einem vernünftigen Zeitpunkt, stattfinden", sagte der Mailänder Steuerberater bei einer TV-Diskussion und verwies darauf, dass die Priorität Italiens bei der wirtschaftlichen Sanierung des Mezzogiorno (Süditaliens) liege.

Auch der als künftiger Unterrichtsminister vorgesehene Rocco Buttiglione und Maurizio Gaspari (Allianza Nazionale) flankierten Tremonti bei seiner erweiterungsskeptischen Position. "Wir sind keine Euro-Skeptiker, vorerst liegt uns aber der Süden am Herzen", so Gaspari.

Nähe zur Lega Nord

"Giulio Tremonti wird auch in Kreisen der Mitte-rechts-Koalition dem nahe der Lega Nord stehenden extremen Flügel zugerechnet", kommentiert der leitende außenpolitische Redakteur des Staatsfernsehens RAI, Bruno Luvera, die Position des künftigen Wirtschaftsministers. Die Haltung Italiens gegenüber den EU-Ländern werde maßgeblich von der Wahl des künftigen Außenministers abhängen, so der Journalist. Zur Diskussion steht unter anderem der langjährige WTO-Präsident Renato Ruggiero, der laut Luvera zweifellos eine gemäßigte EU-Politik verfolgen werde. Die Befürchtungen des künftigen Wirtschaftsministers, der zweifellos auch in der Außenpolitik als Ecofin-Mitglied ein Wort mitzureden hat, betreffen die EU-Strukturfonds.

Abgesehen von der Region Molise beziehungsweise den Abruzzen (allerdings Mittelitalien) kamen sämtliche süditalienischen Regionen in den Genuss der EU-Fördermittel. Auch wenn diese Mittel infolge der langwierigen Bürokratie nur zum Teil genutzt wurden, kann und will Italien nicht auf sie verzichten. Eigene Mittel stehen dem an chronischem Finanzmangel leidenden italienischen Staat bei seiner Verschuldungsquote von 108 Prozent des BIP kaum zur Verfügung. Und der Regierungschef in spe, Silvio Berlusconi, hat seinen süditalienischen Wählern ein Wirtschaftswunder versprochen.

Die Äußerungen Tremontis bedeuten einen strategischen Switch der italienischen EU-Politik. Denn die Mitte-links-Regierung hatte sich bisher stets für die geplante Osterweiterung im Rahmen des von der EU vorgesehenen Zeitraums eingesetzt. Nun scheint es zu einer Gewichtsverschiebung zugunsten der Mezzogiorno-Politik zu kommen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 18. 5. 2001)