Zensuren für George W. Bush gab es nach seinen ersten hundert Amtstagen zuhauf. Jetzt liefert das Londoner Internationale Institut für Strategische Studien (IISS), der wohl renommierteste unabhängige "Think-Tank" auf diesem Gebiet, einen Nachschlag: Die US-Außenpolitik, konstatieren die Experten, sei "elegant, aber ziemlich unflexibel" und bedürfe der "Präzisierung", besonders in der Politik gegenüber China. Diese Einschätzung ist bemerkenswert, weil in der veröffentlichten Meinung Europas genau der gegenteilige Eindruck vorherrscht, nämlich der, dass die China-Politik der USA mehr als präzise genug sei: im Sinne einer klaren Verhärtung. Tatsächlich trägt die neue US-Außenpolitik teils unentschiedenere, teils pragmatischere Züge, als dies ein erster Blick vermuten lässt. Die Neigung mancher US-Regierungsmitglieder zu markigen Worten wird etwa durch den Umstand konterkariert, dass China zu einem der wichtigsten Marktplätze der Zukunft geworden ist, auf den die US-Wirtschaft große Hoffnungen setzt. Hart kritisiert das IISS aber auch die Europäer, deren außenpolitische Ambitionen ihre Fähigkeiten weit überstiegen. Auch hier legt das IISS den Finger auf eine wunde Stelle: Es ist die Kombination von europäischer Lethargie und neuer amerikanischer Barschheit, die ein unproduktives transatlantisches Wechselspiel verstärken könnte. Die Europäer neigen dazu, mit dem Fingerzeig auf die USA von eigenen sicherheitspolitischen Unzulänglichkeiten abzulenken. Die Amerikaner stoßen sich an einem als unzureichend empfundenen finanziellen Engagement der Europäer in der Sicherheitspolitik, aber wenn diese einen ihrer wiederkehrenden Anflüge von mehr sicherheitspolitischem Gestaltungswillen erleben, kommt das den Amerikanern auch nicht so wirklich gelegen. Gerade die Debatte um das US-Raketenschild wird allerdings noch genug Anlass bieten, intensiv an diesen Kommunikationsmängeln zu arbeiten. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 17. 5. 2001)