Wuppertal - Die Beschäftigung mit Brasilien durchzieht das Werk von Pina Bausch wie ein roter Faden: Gleich, welche Institution sie als internationalen Koproduktionspartner erkor, die Lieder eines Caetano Veloso fanden häufig Eingang in ihre Stücke. Insofern kann die neue, unbetitelte Produktion des Tanztheaters Wuppertal, die im Opernhaus uraufgeführt wurde, nicht enttäuschen: Der Generationswechsel innerhalb des Ensembles scheint abgeschlossen, der große Dominique Mercy ist nur mehr der Altstar der Truppe. So ist während eines Probenaufenthalts in Brasilien ein Stück entstanden, das auch eine Leistungsschau des tänzerischen Vermögens der Compagnie ist: Als habe Pina Bausch ein für allemal das Gerücht widerlegen wollen, ihr buntes Ensemble von Tänzern aus aller Herren Länder sei nur ein bewegtes Schauspielensemble ... Kleine Feuer Packende Soli von körperartistischer Brillanz bedingen das enorme Tempo der gut dreistündigen Produktion; die bildkräftigen Corps- wie Spielszenen erscheinen zurückgedrängt. In einer berichtet die lange, blonde Julie Shanahan von ihrer Idee, einen Tisch kleinzusägen und ein schönes Feuerchen auf der Bühne zu machen. Azusa Seyama dagegen kickt einen schweren Schuh weit hinter sich, um von seiner Lage abzulesen, wie anderntags das Wetter wird. Jedes Mal kippt sie ihn nachträglich in die Schönwetterposition. Je nachdem, wie man sich im Leben einrichtet, kann es sich erfüllen - zwischen Wunsch und Selbstbetrug. Ironisch kulminiert diese Ambivalenz vor der Pause, wenn sich das Ensemble in Strandkleidung auf acht Sofas räkelt und sich mit üppigen Frauenfiguren bedruckte Badelaken vorhält. Wenn dahinter nur mehr die Köpfe und Beine der Tänzerinnen hervorlugen, scheint die Beachparty perfekt. Niemand kann von Pina Bausch erwarten, sich etwa den sozialen Realitäten in einem Schwellenland wie Brasilien zu stellen, auch wenn die ironisch grundierten Bilder in manchmal allzu großer Deutlichkeit das Leben der Upper Class reflektieren. Nach der Pause verschwindet aber noch die letzte Ironie aus den Bildern. Die Wände des hohen Bühnenraums von Peter Pabst heben sich ein wenig, und in Korrespondenz zu Palmblattprojektionen wird ein kleiner Palmenhain sichtbar. Hier findet eine kolonialkitschige Cocktailparty statt. Das Stück wirkt in hohem Maße unfertig, obwohl dieses Mal niemand vor der Aufführung auf die Bühne trat, um darauf hinzuweisen, dass man lediglich eine Probe zu sehen bekäme. Doch wirken Bauschs Bilder auch deshalb so verloren, weil sich ihr Bühnenbildner mit seinen betulichen Videoprojektionen dermaßen grob in den Vordergrund drängt, dass die entfesselt tanzenden Solisten von den ausladenden Reiseprospektbildern - Dschungel, Amazonas, Strand, Flamingos und Jaguar - geradezu erdrückt werden. Zudem setzt Bausch Pabsts Fototapeten nur am Schluss in ein Verhältnis zum Bühnengeschehen, wenn das Ensemble vor den Wasserfällen von Iguazú zu einer kleinen Wasserschlacht ansetzt. Dies mutet geradezu als Reminiszenz daran an, wie sie es in ihren großen, alten Produktionen immer wieder verstand, Reiseeindrücke in verrätselte Tanz- und Körperbilder zu transformieren - ohne ihre Inspiration offen zu legen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 5. 2001)