Berlin/Wien - Kinder und Jugendliche in Europa und Zentralasien haben wenig Vertrauen in ihre Regierungen und führende Politiker. Das ergab eine von UNICEF und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Auftrag gegebene repräsentative Meinungsumfrage in 35 Staaten, die nun in Berlin vorstellt wurde. Die Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut GFK dokumentierte eine Länder übergreifende Politikmüdigkeit der jungen Generation in West und Ost. Demnach haben weniger als 30 Prozent der neun- bis 17-Jährigen Vertrauen in ihre Regierung. Nur geringfügig größer ist das Vertrauen in führende Politiker wie Staatspräsidenten. Auf die Frage, welche Personen des öffentlichen Lebens sie bewundern, nannten nur zwei von 100 Kindern und Jugendlichen einen Politiker. Lediglich vier von zehn Heranwachsenden sind der Meinung, dass Wahlen dazu beitragen können, die Situation in ihren Ländern zu verbessern. Fehlende Mitsprachemöglichkeiten "Junge Menschen brauchen mehr Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Wir müssen sie ermutigen, sich an den Entscheidungsprozessen, die ihr Leben betreffen, zu beteiligen," erklärte UNICEF-Exekutiv-Direktorin Carol Bellamy bei der Vorstellung der Studie in Anwesenheit von Bundesaußenminister Joschka Fischer und der deutschen Familienministerin Christine Bergmann in Berlin. Die Präsentation bildete den Auftakt zu einer internationalen Konferenz führender Regierungsvertreter aus 53 Staaten Europas und Zentralasiens. Von Dezember 2000 bis Februar 2001 wurden 15.200 Kinder und Jugendliche über ihre Erfahrungen und Einstellungen zu Familie, Schule und Politik sowie über ihre Leitbilder, Hoffnungen und Ängste befragt. Sie repräsentieren somit laut UNICEF die Meinung von rund 93 Millionen jungen Menschen im Alter von neun bis 17 Jahren in der Region. Die Umfrage ermögliche erstmals den Vergleich der Meinungen von Heranwachsenden in 26 Staaten Mittel- und Osteuropas, den GUS-Staaten, der baltischen Staaten mit ihren Altersgenossen in neun Ländern Westeuropas, darunter auch Österreich. Zufriedenheit abhängig von Armut, Gewalt und Unsicherheit Die Mehrheit der befragten jungen Menschen sagten, dass sie die meiste Zeit glücklich sind. Doch der Grad der persönlichen Zufriedenheit, so die Studie, hängt stark von sozialen und ökonomischen Faktoren - wie Armut, Gewalt in der Familie oder Unsicherheit - ab. So sind Kinder und Jugendliche in Westeuropa (75 Prozent) im Allgemeinen glücklicher als ihre Altersgenossen in Mitteleuropa, im Baltikum oder den GUS-Staaten (60 Prozent). Eine Erklärung hierfür sei die wachsende Armut beim Übergang der ehemals kommunistischen Staaten zur Marktwirtschaft. Nur acht Prozent der Kinder in Österreich gaben an, sich über ihre finanzielle Situation oder die ihrer Eltern Sorgen zu machen. Armut und Unfrieden: ein unseeliges Paar Die Untersuchung habe zudem belegt, dass Armut oft Hand in Hand mit einem weniger herzlichen Verhältnis zu den Eltern und mehr Gewalterfahrungen geht. Diese Kinder seien auch weniger gut informiert und haben weniger Vertrauen in die Politik. Obwohl die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen angab, sie hätten ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, sagten 60 Prozent, dass sie zu Hause ein gewalttätiges oder aggressives Verhalten erleben. Elf Prozent, die über Gewalt in der Familie berichteten, sagten dass diese "häufig" oder "sehr häufig" vorkomme. Dieses Verhalten sei in den Ländern Mitteleuropas stärker verbreitet (69 Prozent) als in Westeuropa (54 Prozent). Sechs Prozent der österreichischen Kinder und Jugendlichen haben nach eigenen Angaben erlebt, dass sich Familienmitglieder schlagen. Einer von sechs Heranwachsenden äußerten, dass er oder sie sich in seiner Nachbarschaft unsicher fühle. Dieses Gefühl der Bedrohung ist dabei in Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion (20 Prozent) fast doppelt so hoch wie in Westeuropa (elf Prozent). Acht Prozent aller Kinder und Jugendlichen erklärten, dass sie selbst einmal Opfer von Gewalt waren. Auf die Frage, welche Rechte Kinder haben, sagte mehr als ein Drittel der Befragten spontan "das Recht nicht geschlagen oder misshandelt zu werden". AIDS Nahezu die Hälfte der Kinder und Jugendlichen sagen von sich, dass sie keine oder unzureichende Informationen darüber haben, wie sie sich vor AIDS schützen können (65 Prozent der Neun bis 13-Jährigen und 27 Prozent der 14- bis 17-Jährigen). Auf die Frage "Ist das Leben heute besser als vor zehn Jahren?" sagten elf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Westeuropa und 34 Prozent in den Ländern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, dass sich die Lage verschlechtert habe. 49 Prozent (Westeuropa) und 40 Prozent (übrige Staaten) glauben, dass das Leben besser geworden sei. Für die Zukunft erwarten die Hälfte der Heranwachsenden in Westeuropa und fast zwei Drittel in den übrigen Ländern, dass es ihnen besser gehen wird als ihren Eltern. Nahezu ein Viertel der Heranwachsenden in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion würde jedoch gerne auswandern, wenn sie erwachsen sind - vor allem nach Westeuropa oder Nordamerika. (APA)