"Will ich also das Volk schildern", schreibt Ödön von Horváth, "darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern, als treuer Chronist meiner Zeit, die große Masse." Und die ist im Jahr 1931 für den Österreich-Ungarn das Kleinbürgertum der Wiener Vorstädte, die Krämer und Kellner, die halbseidenen Gestalten, die ihren Lebensunterhalt mit Wetten und anderen zweifelhaften Machenschaften verdienen.

Eine, die sich mehr vom Leben wünscht und dabei noch viel weniger erhält, ist Marianne, deren tristes Schicksal der Autor in den Geschichten aus dem Wiener Wald schildert. Es ist eines seiner am häufigsten gespielten Werke, die gelungene Wiedergabe eines ganz beklemmend eingeengten Lebensgefühls, mehr als eine berühmte Verfilmung machen die szenische Umsetzung Regisseur und Darstellern nicht eben leicht.

Gelingen kann sie trotzdem, wie die Inszenierung von Guido Huonder am Salzburger Landestheater zeigt. Die Ausstatter Annette Zepperitz und Bernd Diener Müller versetzen der Geschichte eine naturgetreue Kleinbürgeratmosphäre aus Spielzeugwarenladen, Trafik und Schlachterei. Besonders viel Licht fällt nicht in diese Welt, der vom Vater ausgesuchte Verlobte Oskar (Thomas Hinrich) ist ein langweiliger Pedant. Das Leben besteht aus ein paar Badeausflügen und (so zeigt es sich in einer späteren, als wunderbare Milieustudie geglückten Szene) gelegentlichen Trinkgelagen beim Heurigen.


Trotzige Marianne

Der Mann, der sich da als einzige Alternative anbietet, ist im Grunde genommen keine, denn er lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er gegen schnellen Sex nichts, gegen eine dauerhafte Bindung alles einzuwenden hat. Georg Schuchters Alfred hat gar nichts Verführerisches an sich, ist selbstsüchtig und aggressiv. Aber Marianne (entgegen allen Vorstellungen von zarter Hilflosigkeit mit trotzigem Stolz gespielt von Alexandra Krismer) will ihn und ist zu jeder Verklärung bereit.

Verständnis erhält sie nicht, weder vom vordergründig gutmütigen, zugleich bigotten Vater noch vom ehemaligen Verlobten. Einzige Ausnahme: die Trafikantin Valerie (Hanne Rohrer), die sich selber jüngere Liebhaber hält und inmitten der Spießbürgerwelt so etwas wie Verständnis aufbringt für jene, die sich vom gesellschaftlich vorgeschriebenen Weg der Moral entfernen. (DER STANDARD, 16.4.2001)