Wien - Jüngste Auswirkung der Beanstandung der Brennermauttarife durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vergangenen Herbst: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat nun seine grundsätzliche Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen die Republik wegen Fehler des Gesetzgebers bei der Umsetzung von EU-Gemeinschaftsrecht ausdrücklich bejaht (A 23/00-7 u.a., 6.3.2001). Im Anlassfall hatten vier Güterbeförderungsunternehmen mit Sitz in Österreich den Bund beim VfGH auf Rückzahlung der beziehungsweise Entschädigung für die von ihnen entrichteten Mautgebühren für die Brenner Autobahn geklagt (Gesamtstreitwert: 76,080.930 S). Sie stützten ihre Klagebegehren dabei unter anderem auf Artikel 137 Bundes-Verfassungsgesetz. Danach erkennt der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche gegen Bund, Länder, Bezirke, Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind. Im konkreten Fall musste der VfGH die Klagen zurückweisen: Soweit sie sich direkt auf nationale bereicherungsrechtliche oder schadenersatzrechtliche Regelungen stützen, seien diese im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen. Dasselbe gelte für die dort ebenfalls betroffene gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung. Begründung: Der durch Mauttariferhöhungen 1995 und 1996 bewirkte - und vom EuGH festgestellte (Urteil vom 26.9.2000, Rs C-205/98) - Verstoß gegen die Richtlinie 93/89/EWG sei nämlich nicht unmittelbar dem Gesetzgeber, sondern primär den zuständigen Mitgliedern der Bundesregierung zuzurechnen. Der VfGH stellte aber ausdrücklich klar, dass seine Zuständigkeit im gegebenen Zusammenhang dann bestünde, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen wären. So etwa, weil eine Ermächtigung eines Staatsorgans zu einer entsprechenden Tätigkeit gesetzlich (zum Beispiel bei Untätigbleiben des Gesetzgebers bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben) gar nicht vorgesehen sei. So weit, so klar: Gleichzeitig hält sich aber auch der Oberste Gerichtshof (OGH) für berufen, über Staatshaftungsklagen wegen gesetzgeberischen ("legislativen") Unrechts zu entscheiden. So hat er etwa über eine Staatshaftungsklage eines Richters gegen den Bund wegen nicht gehöriger Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG durch das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geurteilt (OGH 1 Ob 80/00 x, 30.1.2001). OGH mit im Spiel Seine Zuständigkeit "begründete" der OGH damit, dass die beiden Vorinstanzen übereinstimmend die Zulässigkeit des Rechtsweges bejaht hatten. Deshalb sei es ihm nach § 42 Absatz 3 Jurisdiktionsnorm verwehrt, die Frage aufzugreifen, ob für Staatshaftungsansprüche die ordentlichen Gerichte oder aber der VfGH zuständig sei. Genauso hatte der OGH zuvor auch im Zusammenhang mit einer Schadensersatzklage eines deutschen Klägers argumentiert, dem die grundverkehrsbehördliche Genehmigung für den Erwerb einer Liegenschaft in Osttirol versagt worden war. Das Verfahren ging gegen die Republik Österreich wegen Schaffung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Grundverkehrsgesetzes durch den Tiroler Landesgesetzgeber (OGH 25.7.2000, 1 Ob 146/00 b). Es scheint also derzeit im Belieben des Rechtsuchenden zu stehen, an welches Gericht er sich wendet. Diese Zuständigkeitskumulation lässt sich darauf zurückführen, dass das österreichische Amtshaftungsrecht (AHG, ABGB), zu dessen Vollziehung die ordentlichen Gerichte berufen sind, keine Haftung für gesetzgeberische - übrigens ebenso wenig für höchstgerichtliche - Fehlleistungen kennt, der EuGH eine solche aber im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausdrücklich verlangt. Regelung nötig Welches Gericht in Österreich zur Durchsetzung des unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abzuleitenden Staatshaftungsanspruchs wegen legislativen Unrechts berufen ist, bleibt offenbar der Rechtsprechung überlassen. Und die ist, wie gezeigt, uneinheitlich. Das belegt, wie nötig die Einlösung des im Regierungsprogramm enthaltenen Versprechens der "Schaffung eines Verfahrens für Staatshaftungsansprüche in Umsetzung der Judikatur des EuGH" ist. Sollte es nicht erfüllt werden, so wird für den Fall, dass der OGH und der VfGH in derselben Staatshaftungssache ein Verfahren einleiten, gemäß Artikel 138 Bundes-Verfassungsgesetz letztlich der VfGH über diesen Kompetenzkonflikt zu befinden haben. Wie die Verfassungsrichter die Dinge sehen, haben sie im oben dargestellen Beschluss bereits gezeigt. Dr. Gerald Anselm Eberhard (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Uni Wien) Dr. Gerald Anselm Eberhard