Befürchtungen darf man haben - vor dem Gefahrenpotenzial des Kernkraftwerks Temelín im Besonderen, vor der Atomkraft vielleicht überhaupt. Illusionen darf man sich aber nicht hingeben. Die Vorstellung, Tschechien könnte den Atommeiler in Südböhmen nicht in Betrieb nehmen, weil sich die Österreicher davor fürchten, wäre eine solche.

Das ist der Hintergrund, vor dem österreichische Politiker mit der tschechischen Seite immer neue Gespräche führen. Zuletzt vollbrachte Umweltminister Molterer den Spagat in Prag: den Tschechen darlegen, dass staatliche Eigenständigkeit und Energiepolitik durchaus respektiert werden, den Österreichern darstellen, dass man in diesen Verhandlungen tatsächlich Entscheidendes verändern könnte.

Der Reaktor von Temelín lässt sich nicht wegverhandeln. Das getraut sich kaum jemand zu sagen und das ist das Verurteilenswerte an diesem mühseligen Prozess. Mit dieser Kritik müssen Molterer und die österreichische Politik insgesamt leben - nur die Grünen können davon ausgenommen werden. Die heimischen Ängste wurden auf dem Ballhausplatz schon vor vielen Jahren nicht ernsthaft gewürdigt, da waren noch andere Regierungen im Amt. Glaubwürdige Angebote für einen Atomausstieg an Prag hätten bereits vor vielen Jahren gemacht werden müssen. Jetzt kann es nur noch um Kosmetik gehen.

Die Regierung in Wien könnte nun nur noch mit einer Blockade des EU-Betritts Tschechiens drohen - dazu wird es nicht kommen. Deshalb sind alle Gespräche, Verhandlungen und Appelle heimischer Parteienvertreter nicht viel mehr, als der Versuch, den atomkritischen Teil der jeweils eigenen Wählerschaft irgendwie bei der Stange zu halten. Kosmetik eben - wie sie seit Jahren betrieben wird.

(DER STANDARD, 14.5.2001)