Im Sommer 1969 war ich gerade groß genug, um über den Rand des Fernsehers schauen zu können, wenn ich davorstand. Der Mann, der da in einem grauen Bild komische Bewegungen machte, langweilte mich: ein Mann am Mond, das war in dem Alter doch reichlich abstrakt. Die Erwachsenen sahen das natürlich anders und scheuchten das lästige Kind weg. Kalter Krieg, Aufrüstung, der technologische Wettlauf der Supermächte brachte den heimischen Wohnzimmern nun endlich einmal Unterhaltungswert: die Mondlandung als eines der ersten weltweiten Live-Events. Im selben Jahr wurde an vier amerikanischen Universitäten völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit erstmals ein Computernetzwerk aufgebaut, vier Rechner tauschten Daten aus, der Beginn des heutigen Internet, damals ARPANET genannt. 1957, in der Blütezeit des Kalten Krieges, hatte Präsident Eisenhower im US-Verteidigungsministerium die Abteilung Advanced Research Projects Agency (ARPA) gegründet. Die Sowjetunion hatte gerade den Satelliten Sputnik ins All geschossen, der dort zwar nur 92 Tage überlebte, aber die Amerikaner in Zugzwang brachte. Erste Aufgabe der ARPA-Forscher war, einen Satelliten zu starten, 18 Monate später schickten die USA ihren Satelliten los. Danach kamen jahrelange Vorarbeiten am Papier für die Verbindung von Rechnern, ähnliche Versuche gab es in Frankreich und England. Der Zweck des ARPANETS war rein militärisch, gewünscht wurde ein Kommunikationsnetzwerk auf Computerbasis, das auch dann noch funktionieren sollte, wenn ein Teil seiner Struktur durch feindliche Angriffe zerstört worden wäre. Die frühen digitalen Kommunikationssysteme haben eine rein textbasierte Benutzeroberfläche, die jeden User vergrault. Die erste öffentliche Präsentation des Netzes vor Fachpublikum 1972 im Washingtoner Hilton war dennoch ein durchschlagender Erfolg. Die Zahl der Knoten war inzwischen auf über 15 angestiegen. Die Vorherrschaft der USA Das Internet ist ein hierarchisches System untereinander verbundener Computer. Die Daten, die durch das Netz strömen, werden in kleine Pakete verpackt, die mithilfe verschiedener technischer Standardprotokolle ihren Weg finden. Der Weg ist nicht vorgegeben, gemäß dem damaligen militärischen Auftrag werden die Datenpakete von einem Knotenpunkt und Netz zum nächsten geschleust, ist ein Weg verstopft, so gibt es einen anderen. Nur 13 Rechner, die so genannten Root Server, wickeln an zentraler Stelle im Netz den gesamten Verkehr ab. Die Verwaltung dieser Server liegt in den Händen der Regierung der USA, die damit die Kontrolle über eine wichtige Schnittstelle des gesamten Internettraffics haben. Computernetze gibt es viele, seit Anfang der achtziger Jahre sind sie entstanden, im militärischen, im wissenschaftlichen und im Kunstkontext. Das FidoNet etwa, oder Mailboxsysteme wie The Thing oder Zerberus. Über Gateways sind diese Netze untereinander verbunden, ihre einzelnen Teile, die Computer und Server, können miteinander kommunizieren. Mitte der achtziger Jahren wurde vom APANET ein universitäres Netz abgeteilt, das sich weltweit über den akademischen Betrieb verbreitete, 1990 erhält auch Österreich Zugang zu diesem Netz. Obwohl damals Begriffe wie "Benutzerfreundlichkeit" noch ein Fremdwort waren, waren die Wachstumsraten im Internet schon immer erstaunlich: Gab es 1987 noch 10.000 Hosts, so waren es zwei Jahre später über 100.000. Dazwischen liegt die erste schwere Krankheit des Netzes, als Internet Worm ist der erste Virus in die Netzgeschichte eingegangen. Der legte am 1. November 1988 über zehn Prozent des Netzes lahm. Alles kann mit allem verknüpft werden Durchschlagend wurde der Erfolg des Internets mit der Einführung einer grafische Benutzeroberfläche, des World Wide Web. 1989 begann der Engländer Tim Berners-Lee im Schweizer Kernforschungszentrum CERN an einem Programm zu arbeiten, das es möglich macht, von verschiedenen Rechnern auf Dokumente unterschiedlichster Art zuzugreifen, unabhängig vom Betriebssystem oder der Art der Dokumente. Das im WWW regierende Protokoll ist das Hypertext Transfer Protocol (HTTP), das ermöglicht, Files unterschiedlichster Art auszutauschen, wie Text, Grafik, Bilder, Sound und Video. Damit hielt Multimedia Einzug ins bis dato textbetonte Internet. Das WWW basiert auf dem Prinzip des Hypertextes, dem vernetzten Lesen und Schreiben von Texten. Diese Idee kommt ebenfalls aus der Militärforschung, und aus der Literatur: Beiden ist der Versuch gemeinsam, Inhalt organisieren zu wollen. Durch "Links" werden Verbindungen in der eigenen Website hergestellt sowie zu Dokumenten auf anderen Servern. Man bewegt sich durch verschiedene, geografisch teils weit entfernt liegende Dokumente. Durch einen hohen Grad an Automatisierung werden verschiedene Medientypen und Dokumente aufgerufen, wofür die Benutzer über kein spezifisches Wissen verfügen müssen. Das Resultat von weltweiten Querverweisen stellt sich bildlich als ein Netz dar: Das World Wide Web. Berners-Lee präsentierte es 1991 der Öffentlichkeit. Damit begann die Explosion der elektronischen Netze, 1993 lag die Wachstumsrate des WWW bei 341 Prozent. Mitte der neunziger Jahre gab das bis dahin rein universitäre Internet Rechte an der Nutzung der Struktur an kommerzielle Betreiber (Provider) ab, und der Wettlauf um Geld und Macht begann. Die großen Online Firmen Compuserve, Prodigy, America Online stiegen ein, das leicht zu bedienende WWW wurde bald von allen mit dem Internet gleichgesetzt, und verändert seither die Welt. Die Welt mit dem Web San Francisco war 1995 eine gemütliche Post-Hippie-, Künstler- und Intellektuellenstadt, mit akzeptablen Mieten und jeder Menge Leute, die mittags ihr ausgedehntes Frühstück einnahmen. Teile dieser Leute arbeiteten in der Computerindustrie, die sich im nahen Silicon Valley angesiedelt hatte. The Californian Ideology nennen der Soziologe Richard Barbrook und der Medienkünstler Andy Cameron ihren Aufsatz zu den Parallelen bei der Neuen Linken und der Neuen Rechten. Teil dieser Parallelen ist der unbeschränkte Glaube an die Neuen Technologien. Die kalifornische Subkulturszene setzte große Erwartungen in die Kommunikationsmedien-Technologie sollte von der Herrschaft der Konzerne befreien, unabhängige Nachrichten ermöglichen, von allen für alle gemacht. Versammlungsort und geheiligte Stätte dieser Communitiy war das 1985 gegründete Mailboxsystem The Well. Hier waren sämtliche Celebrities zu finden, die die digitale Linke hervorgebracht hatte. Die Programmierer, im Englischen schlicht Hacker genannt, arbeiteten im Hauptjob oft bei einer kommerziellen Computerfirma und entwarfen in der Freizeit Encryptionsoftware, Spiele oder Sharewaretools. Gedanken, Ideen und Konzepte dieses virtuellen Raumes wurden somit von einer Kunst- und Subkulturszene mitgestaltet, die nun, oft selbst schon unter den Gewinnern der New Economy, verwundert begreift, wie die Dinge ihre Vorzeichen geändert haben. John Batelle, ehemaliger geschäftsführender Herausgeber des Magazins Wired in einem Interview mit der New Yorker Zeitschrift Artbyte. "Das ganze Geschrei um "Informationsfreiheit", "weniger Einfluss der Regierung" und "Verschlüsselung ist wichtig", all diese Sachen, für die wir bei Wired gekämpft haben, sind nun die Anliegen der Geschäftswelt." Wired und The Well teilen ein ähnliches Schicksal - einst drängelte man sich, digital bei The Well, um dort eine Mailadresse zu bekommen, und am Kiosk, um ein Exemplar des Kult-Magazins Wired zu erhalten. Das World Wide Web macht jeden zu seinem eigenen Verleger und Promotor, daher ist auch der Well-Guru Howard Rheingold schon abgewandert, und verfügt nun über seine eigene Website und seine eigene Community. In die wird man entweder eingeladen, oder man muss sich darum bewerben, teilnehmen zu dürfen. Die Leute sprangen der Reihe nach ab, The Well wurde schlussendlich von der Nasdaq notierten Online Zeitschrift Salon.com geschluckt. Wired erging es nicht viel besser, nach glorreichen Anfangsjahren und Anzeigeneinnahmen brachte schlechtes Management und die wachsende Konkurrenz durch Online Magazine das Monatsheft in den Besitz des Verlegers Condé Nast. Inzwischen kann es sich kaum noch jemand leisten, in San Francisco zu leben, aus der gemütlichen Stadt der Künstler und Freaks ist eine teure Yuppie Siedlung geworden, in der die New Economy-Millionäre die Lehrer ihrer Kinder unterstützen müssen, damit die sich die hohen Mieten leisten können. Wie nach der Krise am Neuen Markt die Entwicklung weitergehen wird, steht in den Sternen. Kunst im Netz Mit dem leicht zu bedienenden WWW und der gleichzeitigen kommerziellen Öffnung des Internet änderte sich alles. Das Web ist ein öffentlicher Kommunikationsraum, in dem Information gemeinsam genutzt wird. Das war das Anliegen von Berners-Lee. Kunst mit Kommunikationstechnologien gab es ab den achtziger Jahren, meist medienkritisch, technisch aufwendig und daher teuer, dafür ohne verwertbares Produkt. Ein altes Problem der Medienkunst, mit Immaterialität ist kaum Geld zu machen. Die Dichte der an Hochschulen und Universitäten lehrenden Medienkünstler ist daher enorm. Der Kunstbetrieb verhielt sich sehr distanziert zu den neuen Formen. Nach dem Boom des WWW haben aber auch die großen Museen und Galerien begonnen, sich der "net.art" zu widmen, allein, mehr als Ruhm und Ehre und das Honorar für die Teilnahme an der Ausstellung sind kaum zu holen. Die Strukturen an Festivals, Zentren und Websites der Medienkunst sind gut, entwickelt die Ars Electronica, die vergangenen Herbst ihren zwanzigsten Geburtstag feierte, ist ein Teil davon. Im WWW sind das Walker Art Center und die New Yorker Site Rhizome.org schon lange im Bereich net.art aktiv, Arbeiten fast aller wichtigen Medienkünstler sind hier zu finden. Anfang diesen Jahres widmete dann auch das San Francisco Museum of Modern Art der Medienkunst eine virtuelle Ausstellung. Software is Mind Control Viele der künstlerischen Arbeiten thematisieren Machtverhältnisse der neuen Technologien oder versuchen alternative Möglichkeiten zur Darstellung der weltweiten Datenströme. Alternative Browser setzen sich mit der Struktur des Netzes auseinander. Sie beruhen auf dem Prinzip der Suchmaschinen und generieren aus den Daten, die sie bei ihrer Suche im Netz scannen, neue Inhalte oder zeigen die Struktur, in der die Inhalte eingebettet sind: Es entsteht ein maschinelles Cut-Up. Der alternative Browser Web Stalker der englischen Medienkunstgruppe I/O/D scannt Datenströme, und zeigt, dass Information keineswegs so dargestellt werden muss, wie es uns die Industrie z.B. im Netz mit Software wie Netscape oder Explorer vorgibt. "Software is mind control", ist ein Slogan der I/O/D Leute. Der Web Stalker verfolgt, gibt man ihm eine URL ein, sämtliche Links, die von dieser Adresse weggehen, die internen und die externen, er zeichnet eine Grafik dieser Struktur und zeigt die HTML-Ströme, Bilder ignoriert er. Kunst mit Kommunikationsmedien sind oft kollektive Projekte. Da alle von überallher zugreifen können, werden Daten gesammelt, User um ihre Meinungen gebeten und befragt, in der Wirtschaft heißt das dann E-Voting. www.fear.gr ist ein in Griechenland beheimatetes Web-Projekt, das UserInnen weltweit nach ihren Ängsten fragt. Seit 1998 sammelt Betreiberin Zoe Leoudaki hier Statements, zusammengekommen sind Ängste von Menschen aus über 30 Ländern. Die einzige (nicht kontrollierbare) Vorgabe ist, das richtige Geschlecht und Wohnland anzugeben. Auf www.fear.gr entsteht so ein kleiner Ausschnitt einer Kartografie der Welt-Ängste. Ähnlich die Website How are you von Olga Kisseleva. Sie bearbeitet die Antworten, die sie auf ihre Frage erhält, und erstellt daraus einen neuen Text. Als Autorin behält sie die letzte Hoheit über den Text. Globalisierung und neuer Individualismus Im Netz kann jede Mail verfolgt und gelesen werden, wer sie aber tatsächlich geschrieben hat, ist nicht überprüfbar. So spielen viele Kunstprojekte im WWW mit fiktiven Identitäten, Corporate Design und der Fälschung von Websites, den sogenannten Rogue Sites. RTMark.com haben die Seite der FPÖ nachgebaut, ebenso die von Präsident Bush, mit anderem Inhalt und gleicher Grafik wie das Original. Globalisierung und Globalisierungsgegner sind mit dem Entstehen des Netzes in seiner jetzigen Form untrennbar verbunden. Das WWW als riesiges Publishingsystem ermöglicht das weltweite unkontrollierte Wachstum von Texten und Dokumenten. Dadurch können sich Subkulturen besser organisieren, Kleinverlage, Fanzines, Initiativen, die unterschiedlichsten Interessensgruppen werden weltweit auffindbar und erreichbar. Mit der Globalisierung ist ein neuer Individualismus verbunden. Die Strategien von Literatur und Kunst, unabhängig von Verlags- und Galeriezusammenhängen zu produzieren und zu partizipieren, werden in die neuen Zusammenhänge übernommen. Selbstverwaltete Partizipation, Distribution und Produktion birgt Möglichkeiten und Fallen: Wenn Künstler zu Galeristen werden und Autoren zu Verlegern, müssen sie neue Qualitäten und Strategien entwickeln. Mikrokulturen stehen Konzernen gegenüber, deren Strategien werden sich immer ähnlicher. Von den Konzernen wird für die Welt produziert, in hohen Auflagen und mit globaler Vermarktungsstrategien. Die "hehre Kunst", das schwierige und kritische Potenzial hat sich zunehmend selbst zu organisieren. Denn, in den unendlichen Weiten des WWW ist Platz für alle. Die ihn sich nehmen können. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe 12./13. 5. 2001)