Standard: Herr Generalsekretär, Sie sind im österreichischen Außenministerium seit über zehn Jahren, mit dem Beginn der Jugoslawien-Krise, mit dem Balkan befasst. Nach all den furchtbaren Ereignissen schien nach dem Regimewechsel in Serbien jetzt eine gewisse Ruhe einzuziehen. Jetzt schlagen die Extremisten wieder los: Albaner in Südserbien und Mazedonien, Kroaten in Bosnien-Herzegowina, Serben in Banja Luka. Hört das nie auf? Rohan: Man muss einmal die positive Seite ansehen: Wir haben überall demokratische Regierungen, zweitens wird nicht mehr großflächig gekämpft. Die Negativa sind, dass kein einziges der grundlegenden Probleme gelöst ist. Daher bricht das immer wieder auf, einmal da, einmal dort. Wir befinden uns sozusagen in einer "holding operation", man versucht den Balkan ruhig zu stellen, ohne die Probleme gelöst zu haben. STANDARD: Wie kann eine Lösung aussehen? Was ist die Perspektive für die nächsten fünf Jahre? Rohan: Es gibt eine wirklich langfristige Perspektive - das ist die Einbeziehung aller Staaten der Region in den EU-Integrationsprozess. Dann müssen wir schauen, was wir bis dahin machen. Erstens haben wir schon in Mitteleuropa festgestellt, dass das einzige Motiv für Reformen der EU-Beitritt ist. Alles andere zieht nicht. Wenn wir daher dort Reformen wollen, müssen wir diesen Ländern diese Perspektive geben. Und zwar allen. Zweitens: Erst dann, wenn die Grenzen ihre Bedeutung verlieren, wenn es gleichgültig ist, ob ein Albaner in Albanien oder Mazedonien lebt, besteht die Chance, dass der ethnisch-nationale Extremismus abnimmt. STANDARD: Was machen wir bis dahin? Rohan: Ich fürchte, wir werden weiter so tun müssen wie bisher. Ich halte von einer großen Balkan-Konferenz derzeit überhaupt nichts. Es gibt keine Lösung für den Kosovo, es wäre jetzt eine zu große Belastung, dem neuen demokratischen Regime den Frust einer Loslösung des Kosovo zuzumuten. Zwar sagt jeder halbwegs vernünftige Politiker in Belgrad, dass er sich eine staatliche Verbindung mit dem Kosovo nicht mehr vorstellen kann, aber man muss das möglichst hinausziehen, bis im Kosovo auch Institutionen geschaffen wurden und die Kosovaren die Autonomie haben. Dann, in zwei, drei Jahren, kann man die Statusfrage diskutieren. Was ich mir vorstellen könnte, ist eine um- fassende Studie aller Balkanaspekte durch eine Expertengruppe, die dann Empfehlungen macht, auf die sich die internationale Staatengemeinschaft einigen kann. STANDARD: Bedroht jetzt ein großalbanischer Nationalismus Mazedonien? Rohan: Die Albaner in Albanien und jene außerhalb haben sich stark auseinander gelebt. Die Verbindung ist eher zwischen jenen im Kosovo und jenen in Mazedonien. Der serbische und kroatische Nationalismus sind auch nicht vorbei, was man aber jetzt generell sieht, sind kleinere radikalere Truppen, gegen die wir jetzt aber eine viel bessere Verteidigungsmöglichkeit als früher haben. Wir versuchen sie zu isolieren, wo immer sie sind, und wir haben eine enge Zusammenarbeit mit den jetzt demokratischen Regierungen in der Region entwickelt, auch mit allen anderen positiven Kräften. Wir bilden Koalitionen der Vernünftigen. Und es gibt mehr Vernünftige als Unvernünftige. Aber es gibt noch einen entscheidenden Unterschied: Sowohl die Regierung in Kroatien als auch die in Serbien will nicht mehr einen Anschluss anderer Gebiete, wo Kroaten und Serben leben, also vor allem in Bosnien. Grundsätzlich: Wenn je der Spruch vom ungeteilten Frieden gilt, dann am Balkan. Das ist auch die Basis der österreichischen Balkanpolitik. STANDARD: Gibt es eine österreichische Balkanpolitik? Was sind ihre Ziele, und welche Rolle können wir spielen? Rohan: Unser Konzept ist ein fast banal einfaches. Kein Staat in der EU ist von den Konflikten am Balkan so direkt betroffen wie Österreich. Zweitens ist für uns jedes Land des Balkan genauso wichtig wie das andere, weil die Stabilität eben unteilbar ist. Daher ist es unser politisches Ziel, mit allen diesen Ländern gleich gute Beziehungen zu haben und in allen diesen Ländern einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten. Meine persönliche Genugtuung ist, dass Österreich in jedem einzelnen Balkanstaat ohne Ausnahme als Freund angesehen wird. Als ein kenntnisreicher, verständnisvoller Partner, der auch die legitimen Interessen dieser Länder gegenüber anderen vertritt. Was wir beitragen können? Wir zahlen immerhin 2,5 Prozent von den vielen Milliarden Euro, die die EU an diese Staaten gibt. Und dann versuchen wir, die legitimen Anliegen der einzelnen Länder in der EU zu vertreten und die EU zu beeinflussen. STANDARD: Wenn Sie solchen finsteren Balkan-Figuren gegenübersitzen wie Milosevic, wie spricht man mit so jemandem? Rohan: Das Interessante bei Milosevic war, wie offen er gelogen hat. Wobei ja am Balkan die Lüge oder der Wortbruch eine lange politische Tradition hat. Man darf sich nicht einschüchtern lassen. STANDARD: Wird er vor dem Tribunal in Den Haag landen ? Rohan: Nicht sofort. Ich bin sehr dafür, dass er |zunächst in Belgrad für Delikte vor Gericht gestellt wird, die das Volk versteht. Damit er vom Podest geholt wird. Dann kann man über Den Haag nachdenken. Aber ich habe am Balkan mehr gute und anständige Menschen getroffen als Leute wie Milosevic. Wir haben ja die Kontakte zu den Gegnern und Opfern des Regimes gesucht. STANDARD: Ein Ausgleich für die kühle Haltung, die uns etwa in der EU noch immer entgegengebracht wird? Rohan: Man kann nicht leugnen, dass wir ein negatives Image bekommen haben. Das frühere Image in Europa von den lieben Österreichern ist jetzt weg. Aber das hat auch was Gutes. Wir müssen nicht mehr so lieb sein. Wir können unsere Interessen vertreten, und dort, wo die Interessen gleichlaufen, wie etwa bei den Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt bei der EU-Erweiterung, da klappt es ja auch mit Deutschland. (DER STANDARD, Print, 11.Mai 2001)