Frankfurt/Wien - Thomas Url, Währungsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) hält den Zinsschritt der EZB für nicht verständlich, habe die EZB doch in den vergangenen drei Wochen in allen ihren Aussagen eher eine Beibehaltung des Zinsniveaus signalisiert. Dass sie nun anders entschieden habe, sei nur erklärlich, wenn sie zusätzliche, extern noch nicht zugängliche Informationen habe. Diese könnten nur darin liegen, dass die Wachstumserwartungen für die Euroländer sich deutlich verschlechtert haben. Bisher galt als Leitprinzip, dass eine Wachstumsprognose zwischen zwei und 2,5 Prozent kein Grund für Zinsveränderungen sei. "Offenbar geht die EZB nun von weniger als zwei Prozent aus", vermutet Url. Als "Eingeständnis, dass die Konjunkturabschwächung Europa voll erfasst hat", interpretiert auch Christian Helmenstein vom Institut für Höhere Studien (IHS) die Zinsentscheidung: "Wir nähern uns realen Wachstumsraten von zwei Prozent an." Im vergangenen Jahr lag die EU noch bei 3,6 Prozent Wachstum. Die Zinssenkung kam für Helmenstein aber nicht überraschend, erfolgte sie doch genau zu dem vom IHS prognostizierten Zeitpunkt. Die EZB habe auch schon vor vier bis sechs Wochen einen Spielraum für Senkungen angedeutet; ihn auch zu nutzen, sei aber bisher angesichts des lauten politischen Drucks - unter anderem auch von Österreichs Finanzminister - wohl nicht als opportun erschienen. Das IHS rechnet im Herbst mit noch einer weiteren Senkung um 25 Basispunkte. Signal für den Konsum Eine markante Belebung der Wirtschaft durch die Zinssenkung ist freilich nicht zu erwarten. Helmenstein sieht sie vor allem als Signal an die Konsumenten durch die Verbilligung ihrer Kreditfinanzierungen. Es sei aber auch ein Signal, dass die EZB sehr wohl, auch was die Realwirtschaft betrifft, ihre Antennen ausgefahren hat. Url vermutet einen Nachhall der internationalen Mahnungen (etwa vom Währungsfonds und der OECD), die EZB möge doch ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Dies stehe aber eigentlich in Widerspruch zu ihren Statuten. Schlechte Zeiten "Für den Euro kommen nun aber schlechte Zeiten", erwartet Helmenstein. Entscheidend für den Wechselkurs zum Dollar seien die Wachstumserwartungen dies- und jenseits des Atlantik. Wenn die Zinssenkung aber als Eingeständnis der Konjunkturschwäche in Europa gesehen wird, dann gibt es kaum Chancen auf eine Annäherung an die Parität. Der Euro stieg denn auch nach Bekanntgabe der EZB-Entscheidung zunächst klar über 0,89 Dollar, fiel dann aber deutlich zurück auf Werte knapp über 0,88. (jost/DER STANDARD, Printausgabe 11.5.2001)