Berlin - Die deutsche Bundesregierung hat nach wie vor Bedenken gegenüber den Vorstellungen der Vereinigten Staaten zu einem Raketenabwehrsystem. Ihre Position ist "offen", wie deutsche Regierungskreise nach dem Besuch einer amerikanischen Delegation im Bundeskanzleramt am Donnerstag betonten. US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz sprach in Berlin von "sehr, sehr ernsten Fragen", die ihm mit auf den Weg gegeben worden seien. Die Gespräche wurden aber von beiden Seiten als konstruktiv bezeichnet. Die etwa 20-köpfige US-Delegation hatte gemäß der Ankündigung von Präsident George W. Bush nach London und Paris auch Berlin besucht, um die Vorstellungen möglicher Partner zu erkunden. Sie reiste am Donnerstag weiter, unter anderem nach Warschau und Moskau. Die Bundesregierung machte in dem etwa fünfstündigen Meinungsaustausch eigenen Angaben zufolge deutlich, dass ihr sehr daran liege, die Antworten auf die neuen globalen Bedrohungsszenarien in einem möglichst breiten Konsens zu finden. Es handele sich bei Bushs Ausführungen vom 1. Mai zur Überprüfung der Sicherheitsstrukturen um einen "überzeugenden Ansatz", hieß es. Die Präsentation eigener Vorstellungen lehne die Regierung vorerst ab, um keine Gegenposition aufzubauen. Mehrfach betonte die deutsche Seite, dass ein Gesamtsystem nicht mehr in diesem Jahrzehnt errichtet werden würde. Das bedeutet: nicht während Bushs Regierungszeit. Allerdings würden noch in diesem Jahr erste Konkretisierungen erwartet, "die aber keine Optionen verstellen". Seitens der Bundesregierung bestehe kein unmittelbarer Entscheidungsbedarf. Technologische Teilhabe komme nur in Frage, wenn die Fragen überzeugend beantwortet würden. Die amerikanische Position, die die Bedrohung durch die "Schurkenstaaten" herausstelle, sei geprägt durch die Erfahrungen im Golfkrieg. Die Frage sei allerdings, ob ein Raketenabwehrsystem "wirklich die Antwort" sei, hieß es aus der Bundesregierung. Auch wisse niemand, ob nicht einige dieser Staaten bald von der Landkarte verschwänden - gemeint war offensichtlich Nordkorea, das aber nicht genannt wurde. Auch der Abrüstungsaspekt beim nuklearen Vernichtungspotenzial müsse herausgestellt werden. Wichtig sei ferner, dass die Arbeit an dem System nicht neue Rüstungsaktivitäten bei Staaten auslöse, die glaubten, etwas dagegen unternehmen zu müssen. Es habe bei den Amerikanern die Bereitschaft gegeben, "unsere Zweifel aufzunehmen", fassten die Deutschen ihre Position zusammen. Ähnlich äußerte sich Wolfowitz, der von Offenheit und Bereitschaft der Deutschen sprach und als eines der zentralen Bedenken die Frage nannte, wie die USA etwa Russland und China klar machen wollten, dass es für sie nicht um eine neue Bedrohung gehe. Washington habe nicht erwartet, dass nach den Ankündigungen Bushs ein "Oh, ja, prima" durch die Welt gehe, sagte er und betonte, seine Regierung werde Anregungen und Bedenken in ihre Überlegungen einbeziehen. Noch sei keine Entscheidung über den einzuschlagenden Weg gefallen. Auch der deutsche Außenminister Joschka Fischer und seine französischer Kollege Hubert Vedrine unterstrichen in einer gemeinsamen Erklärung nach einem Treffen in Berlin "die Bedeutung, die Frankreich und Deutschland dem von der amerikanischen Regierung aufgenommenen Konsultationsprozess beimessen". Sie betonten ihren Willen, die Konsultationen in enger Abstimmung mit den EU-Partnern durchzuführen". (AP)