Rom - Mehr als eine halbe Million Tonnen Pestizid-Giftmüll bedroht in fast allen Entwicklungsländern sowie in vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks die Gesundheit von Millionen von Menschen und die Umwelt. Dies geht aus einem neuen Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hervor. Die neuen Angaben sind dramatisch höher als alle früheren Schätzungen, die sich auf rund 100.000 Tonnen beliefen. Bei dem Müll handle es sich um alte, nicht mehr benutzbare Schädlingsbekämpfungsmittel, die zum Beispiel in vielen Ländern längst verboten sind oder deren Verfallsdatum abgelaufen ist, hieß es am Mittwoch in einer Aussendung. In Afrika und im Nahen Osten wird der Pestizid-Müll auf rund 100.000 Tonnen geschätzt, in Asien auf über 200.000 Tonnen und in Osteuropa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf ebenfalls über 200.000 Tonnen. Für Lateinamerika liegen bisher noch keine Angaben vor. "Vergessener Müll" "In vielen Ländern sind die Pestizid-Müllbestände alarmierend hoch", sagte FAO-Mitarbeiter Alemayehu Wodageneh. "Dieser 'vergessene' Müll ist extrem gesundheitsgefährdend und bedroht die Böden und das Grundwasser. Wo Schädlingsbekämpfungsmittel versickern, können große Flächen vergiftet werden, die dann für den Anbau von Nahrungsmitteln nicht mehr zu gebrauchen sind". Der Giftmüll hat sich nach FAO-Angaben in den vergangenen 30 Jahren angesammelt und wächst weiter an. Es handelt sich dabei um einige der gefährlichsten Insektenbekämpfungsmittel wie Aldrin, Chlordan, DDT, Dieldrin, Endrin und Heptachlor, sowie um Organophosphate. Pestizide können nach ihrem Ablaufdatum in andere Substanzen zerfallen, die oft giftiger sind als das ursprüngliche Produkt. Außer Chemikalien gehören noch verseuchte Spritzgeräte, leere Pestizidtonnen, Kartons und Mengen an hochverseuchten Böden zu den Altlasten. Verseuchungsherde Der Giftmüll lagerten oft in der Nähe von Feldern und Brunnen, sowie in Dörfern und Städten, direkt neben Häusern, Lebensmittelläden und Märkten, so die FAO. Oft lägen Tonnen mit Pestiziden im Freien, für jeden zugänglich. Es gibt keine Sicherheitsvorkehrungen. Manchmal werde der Müll in einfachen Lehm- oder Strohhütten aufbewahrt. Viele Metalltonnen seien verrostet und undicht. In unmittelbarer Nähe dieser Giftmüllplätze würden Menschen ihre Nahrung zubereiten, Kinder spielen oder Tiere grasen. Es gebe zwar keine genauen Untersuchungen über Gesundheitsschäden, aber viele Menschen klagten über Kopfschmerzen, Übelkeit und Atembeschwerden, so die UNO-Einrichtung. Altlasten Der Pestizidmüll hat sich nach FAO-Angaben angesammelt, da viele Produkte nicht benutzt und anschließend nicht beseitigt wurden. Sie blieben als Müll in den Empfängerländern zurück. Viele afrikanische Länder haben beispielsweise bis Ende der achtziger Jahre bei der Bekämpfung von Heuschrecken Dieldrin benutzt. Als damals entschieden wurde, Dieldrin nicht mehr einzusetzen, blieben die noch vorhandenen Bestände als Altlasten zurück. Im allgemeinen sind Pestizide rund zwei Jahre lang haltbar. Unter tropischen Bedingungen jedoch und bei unsachgemäßer Lagerung können sie noch früher verfallen, betonte die FAO. Pestizidmüll sei auch entstanden, weil Behälter nicht beschriftet waren oder Gebrauchhinweise so verfasst wurden, dass viele Menschen sie nicht verstehen konnten. Deshalb seien viele Schädlingsbekämpfungsmittel nicht benutzt worden. Zu viele Hilfslieferungen von Insektiziden Internationale Hilfsorganisationen haben oft in guter Absicht Schädlingsbekämpfungsmittel in die Entwicklungsländer geliefert, betont man bei der FAO. Nachsatz: "In vielen Fällen aber gab es keine Absprachen zwischen den Organisationen und es wurden zu viele Pestizide geliefert. In zentralistisch organisierten Ländern wurden Pestizide zudem unabhängig vom tatsächlichen Bedarf geordert, sie blieben hinterher in vielen Fällen ungenutzt." Vielfach waren die Chemikalien auch ungeeignet, um Schädlinge oder Unkraut zu bekämpfen, und sie wurden deshalb nicht benutzt. Darüber hinaus lasse sich das Ausmaß von Schädlingsplagen oft nur schwer vorhersagen. Besonders bei der Heuschreckenbekämpfung hätten viele Länder Pestizid-Altlasten angehäuft, da manche Plage weniger schlimm war als ursprünglich befürchtet, und es wurden somit weniger Pestizide benötigt. Die Produzenten Die größten Hersteller von Schädlingsbekämpfungsmitteln befinden sich in Europa, USA, Japan, China und Indien. Der jährliche Umsatz wird laut FAO auf mehr als 30 Milliarden Dollar geschätzt. "Hohe Geldsummen spielen bei der Lieferung von Pestiziden eine große Rolle", heißt es in dem FAO-Bericht. "Dies kann dazu führen, dass versteckte Interessen die Entscheidungen über den Kauf von Pestiziden beeinflussen. Oft stimmen diese Interessen nicht mit den besten technischen Lösungen zur Schädlingsbekämpfung überein." Die Beseitigung von Pestizidmüll ist teuer und wird den Angaben zufolge auf etwa drei Dollar pro Kilogramm oder Liter geschätzt. Bisher hätten fast ausschließlich Regierungen und Hilfsorganisationen für die Aufräumarbeiten bezahlt, darunter die Niederlande, Deutschland, USA, Schweden sowie die FAO. In Afrika und im Nahen Osten seien bisher weniger als 3.000 Tonnen Giftmüll beseitigt worden. Schwierige Beseitigung Die FAO unterstützt gegenwärtig die Regierung Äthiopiens dabei, rund 3.000 Tonnen Altpestizide und hochverseuchtes Bodenmaterial zu beseitigen. Es ist das bisher größte Projekt dieser Art in Afrika. Der Giftmüll lagert an rund 900 Stellen, die über das ganze Land verteilt sind. Der Giftmüll soll zum Verbrennen nach Finnland gebracht werden. Die Hochtemperatur-Verbrennung ist nach Einschätzung der FAO derzeit die einzige Möglichkeit, um den Pestizidmüll sicher und umweltgerecht zu vernichten. Die Aufräumaktion in Äthiopien wird schätzungsweise rund acht Millionen Dollar (9,02 Mill. Euro/124,2 Mill. S) kosten. Bisher stehen erst vier Millionen Dollar zur Verfügung, die von den Niederlanden, USA und Schweden gezahlt werden. Die FAO appellierte an die in der Globalen Pflanzenschutzföderation zusammengeschlossenen Firmen, sich dringend an der Verbrennung von Pestiziden finanziell zu beteiligen. Die Industrie hat sich in der Vergangenheit dazu verpflichtet, die Verbrennung zu finanzieren; bisher haben sich die Firmen aber kaum daran gehalten, so die FAO. "Die Unterstützung von seiten der Industrie ist auch für zukünftige Aufräumaktionen besonders wichtig," sagte Alemayehu Wodageneh. "Hilfsorganisationen und Geberländer allein können die Kosten nicht tragen." (APA)