Oberhausen - Kurze Filme haben's schwer. Ewig müssen sie sich dem Vergleich mit den dominanten Langformaten stellen. Kaum je werden sie regulär im Kino gezeigt. Und deshalb wissen viele gar nicht, dass es sie (noch) gibt. "Fuck Feature Film" hatte Lars Henrik Gass, der Leiter der renommierten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, heuer auf die Festival-T-Shirts applizieren lassen. Dabei machte das vielfältige Programm der vergangenen fünf Tage diese Abgrenzung eigentlich völlig überflüssig. Von einem Special zum nächsten musste man nämlich keinen Mangel leiden und vergaß kurzzeitig ganz, dass Filme auch stundenlang dauern können: Neben den traditionellen Wettbewerbprogrammen für internationale und für deutsche Kurzfilme widmete sich beispielsweise die Reihe Out of Time , kuratiert von Robin Curtis und Laura U. Marks, unterschiedlichen Formen der Auseinandersetzung mit der Zeit: Fokussiert auf Film als chronometrisches Aufzeichnungsverfahren von Arbeitsabläufen, auf die Faszination des Kinos für die "Extrem- zeit" katastrophischer Ereignisse oder avantgardistische Zugänge, die sich ihre eigenen Zeiträume schaffen. Musikfilmemacher Das Generalthema "Musikvideo" ging auch jenseits der beiden bereits fix etablierten Clip-Blöcke weiter: Der US-Filmemacher Jem Cohen wurde mit einer kleinen Werkschau, zusammengestellt von Olaf Möller, gewürdigt. Cohen ist vor allem durch seine langjährige Kollaboration mit den Bands Fugazi ( Instrument - Ten Years With The Band Fugazi ) und R.E.M. ( Nightswimming ) bekannt geworden. Seit seinen Anfängen Mitte der 80er-Jahre beschäftigt er sich mit einer Verbindung von Filmbildern und Musik, die sich von herkömmlichen Videoclips absetzt, eher assoziativ arbeitet und ein dokumentarisches Moment betont. Er habe, sagte Cohen im Publikumsgespräch, nie verstanden, weshalb man Musiker bei Videos nur so tun lässt, als ob sie spielten, wo das doch ihre eigentliche Beschäftigung sei. Sein wunderschönes, knapp zehnminütiges Miniaturporträt Lucky Three (1997) etwa besteht aus Aufnahmen der US-Independent-Größe Elliot Smith - und zwar im doppelten Sinne: Zum einen zeigt es Smith auf kleinen Streifzügen durch seine Heimatstadt Portland, Oregon. Zum anderen spielt er live drei seiner Balladen ein - klar kadriert, ohne Kameraschnickschnack und Gewackel, einfach zum Zusehen und Zuhören gemacht. Er sei nicht mit Videoclips aufgewachsen, sondern als jemand, für den Musik zentrale Bedeutung hat. Und eigentlich, so Cohen, stelle er sich seine Arbeit ähnlich der eines Grafikers vor, der mit dem LP-Cover einen visuellen Ausdruck für das schaffe, was in der Hülle steckt. Das LP-Motiv strukturiert auch Just Hold Still (1989), der sieben kurze Arbeiten wie einzelne Tracks versammelt. Darunter einen, der ebenfalls sehr schön illustriert, wie sich Cohen die Zusammenarbeit zwischen Bild und Musik vorstellt: Glue Man beginnt mit Aufnahmen eines verlorenen Mannes in einem Hinterhof. Später tauchen Schriftinserts auf, die Textzeilen vorwegnehmen, und erst dann setzt ein Song von Fugazi ein - "an alternative music-video project" heißt das im Abspann. Auch Cohens eigenwillige Städteporträts - Lost Book Found (1996) oder Amber City (1998) - werden von Sounds begleitet, die nie gefällig untermalen, sondern im Verein mit der Montage oder den Off-Stimmen verdichtete, tönende Impressionen erzeugen. Lost & found Eine kleine Sensation gelang dem Festival außerdem mit der Wiederherstellung und -aufführung von vier verschollenen Kurzfilmen des Regisseurs Robert van Ackeren ( Die flambierte Frau ) aus den Jahren 1965 bis 72: Dokumente eines narrativen Kinos zwischen Nouvelle Vague und Hollywood-B-Movie, in denen Berliner Straßencafés Pariser Flair haben und Tagediebe Zeit und Schallplatten stehlen. Kleine Melodramen, in denen gebeutelte Femmes fatales und Möchtegern-Machos agieren. Keines länger als 25 Minuten. Jedes gelungen kurz und bündig. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 5. 2001)