Wien - Zu den vielen Rätseln, die Österreichs Kulturleben dem unbefangenen Beobachter aufgibt, zählt auch jenes, dass die Wiener Festwochen beginnen, bevor sie noch begonnen haben. Das sollte heuer nicht anders sein. So konnte das Konzerthaus mit dem Auftakt seines 30. (mit den Festwochen assoziierten) Musikfestes nicht länger an sich halten und preschte deren offizieller, für kommenden Freitag vorgesehenen (und übrigens 50.) Eröffnung schon am Montag mit Giuseppe Verdis Messa da Requiem in einer Aufführung des Zürcher Opernorchesters und der Wiener Singakademie unter Franz Welser-Möst voraus. Womit man mit der Frage, warum man ein zweifaches Jubiläum ausgerechnet mit einer Totenmesse einleitet, auch schon vor einem weiteren Rätsel steht, das seinerseits wieder zur Suche dessen anstiftet, was es möglicherweise zu betrauern und zu bedauern gibt. Da nicht anzunehmen ist, dass sich die jubilierenden Institutionen jetzt schon für requiemreif halten, muss man sich mit jenem beträchtlichen Quantum an Bedauernswertem begnügen, das die Aufführung selbst ziemlich gnadenlos in die Trommelfelle der Zuhörer kerbte: Entgegen der im Programmheft eloquent niedergelegten Beweise für die Geistlichkeit von Verdis dem Andenken von Alessandro Manzoni gewidmetem Werk, erreichte diese Aufführung bestenfalls die Andachtsgrade des Falstaff -Finales oder des Triumphmarsches der Aida . Die beinahe pietistische Sorgfalt von Franz Welser-Mösts Zeichensprache zeitigte auf beinah paradoxe Weise Klangeffekte von so lebenspraller Diesseitigkeit, dass mit diesem Requiem bei der Eröffnung am Rathausplatz jedenfalls (ganz ohne Verstärkung) mehr Furore zu machen wäre als im durch die Phonstürme beinah berstenden Großen Konzerthaussaal. Freilich verdienen die Präzision und die rhythmische Schlagkraft des Orchesters volle Bewunderung. Durch sie erhalten alle Fortissimoeinschübe im Dies Irae und auch im weiteren Verlauf des Werkes den beinah mechanischen Charakter von jederzeit beliebig oft abrufbaren Makrobefehlen. Doch schon in der klanglichen Abmischung mit der Singakademie fehlte es häufig an deklamatorischer Deutlichkeit. Endgültig und anhaltend gekippt hat diesen musikalischen Anlauf auf das Jenseits das stilistisch völlig überforderte Solistenquartett. Bis auf Yvonne Naef, deren Altsoli mitunter von überzeugender Innerlichkeit getragen waren, hörte man ansonsten bestenfalls Oper in Reinkultur. So sehr, dass man auf einen von László Polgár gesungenen Don Carlos- Philipp richtig Gusto bekam. Bei Eva Mei (Sopran) und Fabio Armiliato (Tenor) hielten sich derlei Wünsche in Grenzen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 5. 2001)