Wenn sich an diesem Wochenende in Berlin die sozialdemokratischen Parteiführer treffen, wird auch die Position der Linken zum Phänomen der Globalisierung besprochen. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer plädiert - anders als etwa Lionel Jospin - für einen Abschied vom reinen Etatismus. Eine der Kernaufgaben sozialdemokratischer Politik ist die Erarbeitung alternativer Modelle vis à vis konservativen Ideologien der fiskalen Austerität und der Reduktion des Systems wohlfahrtsstaatlicher Vorsorge. Diese konservative Politik wird oft als "neoliberal" beschrieben, ein Begriff, der, inflationär gebraucht, immer mehr an Aussagekraft verliert. Die US-amerikanischen Diskussionen entstammende Bezeichnung solcher Politik als "conservative managerial" ist treffender. Ich verwende also diesen Begriff für jene Art konservativer Politik, wie sie auch von der derzeitigen österreichischen Bundesregierung verfolgt wird. Insbesondere in Europa - innerhalb der EU ebenso wie in den so genannten Reformländern - ist dieses politische Projekt meist reduziert auf die Gewährung jeglicher Freizügigkeit an Kapital, welche in einer Hypermobilität eben dieses Kapitals resultiert. Spiegelbild dieser Entwicklung im Sinne einer Alternative ist eine breite Diskussion unter europäischen Sozialdemokraten (in Österreich das "Netzwerk-Innovation.at") über eine neue Programmatik der reformorientierten Linken. Zu dieser Debatte zählen Lionel Jospins Thesen zur "Beherrschung der Globalisierung", die er Anfang April bei einem Symposion in Rio de Janeiro formuliert hat. (Le Monde, 16. 4. 2001). Jospin begrüßt die Globalisierung und unterstreicht den Reichtum an materiellen Ressourcen und die neuen Möglichkeiten, die dieser Prozess freisetzt. Gleichzeitig weist er aber auf die desaströsen Entwicklungen im Gefolge einer Globalisierung hin, die Laissez-faire und der Glaube an das Wirken einer unsichtbaren Hand auf Märkten verursachen, und sieht die Notwendigkeit, in die Globalisierung von Kapitalbewegungen politisch einzugreifen. "Kräfte ausrichten" "Regulierung" in globalisiertem Maßstab heißt für Jospin zu versuchen, die Kräfte "auszurichten", die im Prozess der Globalisierung wirken. Weiters habe die Öffnung sozialer Systeme und nationaler Wirtschaften für die Kräfte einer globalisierten Ökonomie auf "kontrollierte Weise" zu erfolgen. Soweit ist Jospin zuzustimmen. Auch ist ihm Recht zu geben, wenn er eine globale Diskussion zu diesen Fragestellungen vorschlägt. Zu kurz greift aber sein Ansatz, staatliche Eingriffe als ausschließliches Instrument von "Regulierung" und lediglich den Dualismus von Markt und Staat als Koordinatensystem für "regulierende Politik" zu bestimmen. Jospins Bestimmung des Begriffes "Regulierung" entspringt den besonderen Bedingungen französischer Politik mit staatlicher Reglementierung im Zentrum. Und sie korrespondiert dem Etatismus einer traditionellen Linken in Europa. Auf die globale Ebene transponiert besteht für Jospin Regulierung aus Vereinbarungen von Regierungen der Nationalstaaten. Selbstverständlich ist dies ein zentrales Element politischer Steuerung, allerdings nicht das einzige. Schon auf nationalstaatlicher Ebene zeigt sich eine wesentlich größere Bandbreite an Interventionsmöglichkeiten: Ich nenne nur beispielhaft die sozialpartnerschaftliche Vereinbarungskultur, wie wir sie in Österreich kennen. Die Eckpfeiler sozialdemokratischer Politik sind hingegen vorgegeben und durch einen Wertekatalog bestimmt. Dazu gehören demokratische Partizipation, Chancengleichheit mit materieller Grundsicherung und Ausbau von Grundrechten. Keiner dieser Werte kann die Sozialdemokratie zu Strukturen konservierenden und Dynamik verhindernden politischen Positionen führen. Sozialdemokratische Politik soll gestalten, nicht verhindern. Die Bestimmung des gemeinschaftlich Ganzen verlangt die gesicherte Beteiligung aller Bürger an der Bestimmung von gesellschaftlich Verbindlichem. Das sozialdemokratische Menschenbild prägt eben nicht wie in den Ideologien des Zuschnitts "conservative managerial" der den Wohlfahrtsstaat ausnützende, "rational" agierende Egoist, sondern der sich zu gesellschaftlicher Teilnahme verstehende, selbstbestimmte und demokratisch mitbestimmende Bürger. Ein solches Programm muss über etatistisches Regulieren und sozialpartnerschaftliche Selbstbindung hinausgehen. Repertoire erweitern Die europäische Linke hat ihr Repertoire um ein Instrumentarium zu erweitern, welches die (Selbst-)Verpflichtung der den Prozess der Globalisierung gestaltenden Unternehmen und Körperschaften mit in den Vordergrund rückt. Diese zusätzliche Ressource für Intervention wurde in der Vergangenheit unzureichend bedacht. Hier können die Eigentumstheorien, die in der Tradition der amerikanischen Linken eine zentrale Rolle spielen, ein interessanter Ansatzpunkt sein. Die heute benötigten Instrumentarien reichen von staatlicher Regulierung über korporatistische Arrangements bis hin zu vertragsrechtlichen Bindungen. Auch Allianzen mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft sind gefragt. Auf globaler Ebene ist beispielsweise zu überprüfen, welche innovativen Steuerungsformen die klassischen Instrumentarien der Entwicklungszusammenarbeit ergänzen können. Ein aktuelles Beispiel auf nationalstaatlicher Ebene zeigt ebenfalls die Vielfalt an politischen Interventionsmöglichkeiten: Die österreichische Bundesregierung ist im Begriffe, Teile der im Eigentum des Bundes stehenden Waldflächen zu verkaufen. Österreichisches Recht räumt den Eigentümern von Liegenschaften in der Regel auch Eigentum an Quellen ein. Veräußerungen von Waldflächen durch den Bund sind ohnehin problematisch, da Wald eine über Holz hinausgehende Ressource darstellt. Beispiel Quellenrechte Die Veräußerung von Quellenrechten ist ein umso schwerer wiegendes Vorhaben, das nicht nur von betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien bestimmt werden darf. Wenn es jedoch zum Verkauf kommt, so sind jedenfalls Vorkehrungen bezüglich der öffentlichen Verfügbarkeit von Wasser aus privatisierten Quellen zu treffen. Das Instrumentarium dieser Intervention zugunsten der Öffentlichkeit ist breit gefächert; die Eigentumsfrage allein muss nicht entscheidend sein. Verwaltungsrechtliche Normen oder vertragsrechtliche Beschränkungen sind ebenfalls denkbar. Jedenfalls dürfen sie nicht ausschließlich für den Ausnahmefall gelten. Eine derartige Diskussion findet in Österreich nicht statt. Tatsächlich ist die Verfügung über und der Zugang zu natürlichen Ressourcen aber entscheidend für die Zukunft unseres Gemeinwesens. Sie ist eine Frage, die breit zu diskutieren ist und die eine Überprüfung der jeweils angebotenen Antworten in offenen gesellschaftlichen Experimenten verlangt. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte ist die demokratische und europäische Linke aufgerufen, ihre historischen Positionen zu hinterfragen. Dies verlangt Offenheit, Partizipation und Mut zum Experiment einerseits, Einstehen für die Ziele und Werte dieser europäischen Linken andererseits. Die Debatte ist eröffnet. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2001)