Wien - Diesen Punkt hätte sich der Bürgermeister auch nicht entgehen lassen, wenn er nicht ein "Alternativmodel", sondern bloß den Jahresplan eines Kleingartenvereines präsentiert hätte: "Wir denken lieber nach. Von ,Speed Kills' haben wir - gepaart mit unprofessioneller Arbeit - genug", antwortete Michael Häupl Freitagmorgen auf die Journalistenfrage nach dem Tempo der Umsetzung der soeben vorgestellten 23 rot-grünen Stadtprojekte. Ebenjene stellten Häupl und Grün-Klubchef Christoph Chorherr nämlich unter dem Signet "Testlauf für ein Alternativmodell zur Bundesregierung" vor - neben der reinen Sacharbeit, versteht sich. In dem Arbeitsübereinkommen, das SPÖ und Grüne ausverhandelt haben, finden sich Projekte und Vorhaben, die Chorherr als "Meilensteine" bezeichnet: O So soll ein Biomassekraftwerk einen wesentlichen Anteil dazu leisten, dass Wien die Klimaschutzvorgaben von Kioto erfüllt. O Eine Ökostromoffensive und die Forcierung von Biolebensmitteln sollen umweltpolitische Impulse setzen. O Die Radverkehrsplanung soll reorganisiert - und die Finanzierung aus den Bezirksbudgets genommen - werden. O Massive Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sollen vor allem Jugendlichen und jungen Frauen mit Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt helfen, verstärkt im IT-Bereich. O Zwei- und mehrsprachige Schulen und Klassen sollen in Modellprojekten ausgebaut werden, der Migrantenanteil in der Exekutive durch gezielte Qualifizierungskurse gehoben werden. O "Offene Kanäle" im TV- und Radiobereich sollen ein Fenster für nicht kommerzielle Medien öffnen. Man habe sich mit den 23 Punkten bewusst auf Projekte beschränkt, in denen eine Realisierung über Parteigrenzen vorstellbar sei, betonten Häupl und Chorherr unisono. Dass manche grüne Forderung - etwa die nach einer Wahlrechtsreform - nicht aufschienen, liege nicht zuletzt daran, dass es sich bei dem Projektpapier eben nicht um einen Koalitionspakt handle. Chorherr: "Wo das Papier endet, sind wir klassische Opposition." Bündnisstrukturen Dennoch machten beide Politiker kein Hehl daraus, dass der Zusammenarbeit eine weit über die rein thematische Kooperation hinausgehende Bedeutung zukomme. "Es gibt eine breite Bündnisstruktur auf der rechten Seite", erklärte Häupl, "dem wollen wir eine Alternative entgegensetzen." Eine, die wie Chorherr fortsetzte, deren Funktionieren ein "Probegalopp" sei, an dessen Ziellinie stehe, "die FPÖ in zwei Jahren raus aus der Regierung" zu sehen. Der rot-grüne Testbetrieb, betonten sowohl Häupl als auch Chorherr, habe zwar bundespolitische Symbolkraft, eine "Übersiedelung" der Protagonisten käme aber nicht infrage. Häupl: "Ich bin keine personelle Alternative." Chorherr: "Ich habe den Bund probiert und genieße Wien." Dafür, dass der Genuss nicht vom bitteren Geschmack des Scheiterns überlagert werden könnte, gebe es allerdings keine Garantie, gestand Chorherr ein. Sollten zu viele Punkte des Programmes unerfüllt bleiben, wäre das "sehr schlecht", hieße es doch, "hallo, eine rot-grüne Zusammenarbeit dürfte nicht erfolgversprechend sein." Vor dem Ausbruch des im Wahlkampf prognostizierten rot-grünen Chaos fürchtet sich Michael Häupl allerdings nicht: "Was bricht aus? Etwas sehr Innovatives." Scharfe Kritik übte am Freitag die ÖVP an dem gemeinsamen Arbeitspapier von SPÖ und Grünen: Die politischen Ziele wären "armselig und durchsichtig", meinte der geschäftsführende VP-Klubobmann Matthias Tschirf, es gehe lediglich um den Sturz der Bundesregierung. Die Grünen hätten sich als Opposition abgemeldet und wären, so Tschirf, nur noch "Veitschi am roten Tanker". (rott/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. Mai 2001)