Endlich einmal stellt das Kunsthistorische Museum eine Ausstellung auf die Beine, die den Rang der Galerie widerspiegelt: 40 Bilder von El Greco (1541-1614), dem Griechen von Herkunft, Italiener von Ausbildung und Spanier von Auftreten. Ein Rundgang mit Rainer Metzger. Der Maler, so geht die Geschichte, zog bei freundlichstem Sonnenschein die Vorhänge zu. Dunkel blieb es im Atelier. Die Helligkeit des Tages, erklärte der Meister des Gelängten und Gedrängten, würde nur sein "inneres Licht" beeinträchtigen. Von Giulio Clovio, dem römischen Miniaturenmaler, stammt diese Botschaft - und wenn sie nicht wahr ist, so ist sie doch gut erfunden: El Grecos Augen, so lautet die Erklärung für das Unsinnlich-Übersinnliche, inspizierten vor allem das eigene Oberstübchen. Dieser Grieche, Greco, der aus Kreta stammt und dem Wirken eines frühen Kolonialismus zu verdanken hat, deshalb als Venezianer geboren zu sein, lernte in Italien und blühte auf unter dem Himmel Spaniens. Eine mediterrane Karriere: Mit derlei Lebensläufen ist man kein Untertan mehr, genauso wenig wie man Handwerker ist, wenn man die Welt bei sich selbst sucht. El Greco ist der Paradefall eines Manieristen. Er ist ein Künstler, in aller Emphase. Als solcher gehört er in jedes kunsthistorische Museum. Das kunsthistorische Museum schlechthin, jenes neben dem Maria-Theresia-Denkmal, besitzt bekanntlich keines seiner nun wirklich in gehörigster Quantität ins Werk gesetzten Malstücke. Thomas Bernhards Alte Meister beklagt das Manko auch wortreich. Wenn sich jetzt gleich 40 von Grecos Versonnen- und Versponnenheiten in die Brust werfen, so schwillt jene der Verantwortlichen gleich mit: Nicht nur diesem Kritiker hat man es gezeigt, mit einer Schau von in der Tat superlativischer Auswahl, die allein in Wien zu sehen ist - bis 2. September. Das Licht, das der Grieche - mit dem unaussprechlichen Domenikos Theotokopoulos als Signatur -, auffing, es stammte aus einem anderen Raum. Greco begann im Wortsinn orthodox, als Ikonenmaler, und in den Devotionalien seiner Frühzeit ist es sowieso der Goldgrund, in den sich Helligkeit einspinnt. Als Greco um 1568 in seine Hauptstadt, Venedig, die Serenissima, kommt, erfasst ihn eine andere Rechtgläubigkeit, jene an die Macht des Ästhetischen. Je katholischer die Seelenlage, desto kanonischer der Schöngeist: Das Licht, das El Greco nun umfängt, schickt eine von der Gegenreformation in der Fasson gehaltene Aufklärung. Glanzlichter Was er in Venedig bei Tintoretto annimmt und in Rom Michelangelo abnimmt, bearbeitet Greco weiter zu jener ebenso geschmeidigen wie signalhaften Manier, die der Epoche den Namen gibt: Greco ist der Sendbote einer Spiritualität, durch die das Kalte und Kalkulierte und Konstruierte jederzeit durchscheint. Die Glanzlichter, die in den Pupillen seiner Heiligen schimmern, sind nicht nur im Wortsinn aufgesetzt. Dieses Personal hat wenig Himmlisches, dafür um so mehr Himmelndes. In einigen Fällen bietet die Ausstellung mehrere Versionen eines Themas. Auch dies ist eine Facette von Künstlertum in der Neuzeit: Wer mehr als 25-mal einen Franz von Assisi auf die Leinwand wirft, sich an nicht weniger als 13 Christus-und-die-Apostel- Bildern abarbeitet oder elf Kreuztragungen produziert, muss sich entweder in Exerzitien oder in Präsenz üben. El Greco war kein Asket, sondern ein Intellektueller, eine Szenefigur in seiner Wahlheimat Toledo, wo immerhin auch Lope de Vega, Cervantes, Góngora lebten. In der Schau gibt es wenige der Vielfigurenbilder, in denen eine biblische Geschichte - auf meistens zwei Ebenen mit oftmals einer Dreifaltigkeit ausgestattet - vorgeführt wird: Hier setzt Greco machtvoll jenen Einbruch des Heiligen in Szene, in dem sich die Rhetorik der Gegenreformation besonders gefiel. Die Präsentation bringt den Künstler mit seiner ohnehin sehr weltlichen Seite zur Kenntlichkeit. So ist Grecos Blick auf Toledo zu hängen gekommen. Die Stadtvedute gilt als erstes Landschaftsbild der iberischen Malerei - was aber weniger für Grecos Originalität als gegen Spaniens Observanz spricht. Eine Reihe großartiger Porträts ist zu sehen, allen voran das Bildnis des Mönches, Dichters und Künstlerfreundes Hortensio Paravicino. Schließlich brachte man die National Gallery in Washington dazu, sich einige Zeit vom Laokoon zu trennen, des Meisters einziger Darstellung mythologischen Inhalts, in die er seine ganze Programmatik packte. 1506 war die antike Skulptur gleichen Themas entdeckt worden und machte die Runde als Konkurrenzobjekt für alles, was man als Renaissance verstand. Auch Greco setzte sich ins Vernehmen mit ihr: Aus den drei Figuren des Vorbilds machte er sechs; statt Troja zeigt er Toledo; die Figur des unkenden Sehers windet sich weniger im Kampf denn in akademischer Pose; und vor allem richten sich die Blicke wiederum schmachtend nach oben. Das Bild rankt sich um eine Geschichte, die expressis verbis von Schlangen erzählt, die "aus dem Wasser stiegen". In Grecos wunderbarer Welt der umgekehrten Schwerkraft aber liegt sogar das Meer am Himmel. (DER STANDARD, 3.5.2001)