Standard: In Europa kostet heute ein Auto der unteren Preisklasse, zum Beispiel aus einem der tschechischen Werke der VW-Gruppe, rund 7700 Euro (105.900 S) und damit weniger als ein brasilianisches Einstiegsmodell. Könnte so ein Pkw nicht auch in Brasilien hergestellt oder wenigstens von einem global agierenden Konzern als preislich attraktives Importfahrzeug angeboten werden?

Demel: Nein, das geht nicht. Denn einerseits profitiert ein tschechischer Pkw von einem niedrigen Vorkostenblock für viele Rohstoffe und Halbfabrikate sowie beim Energieverbrauch der Produktion, mit dem die brasilianische In-dustrie in der Herstellung nicht konkurrieren kann. Andererseits würde dieser Wettbewerbsvorteil des Importwagens bei der Einfuhr durch Zölle, Steuern, Transportkosten und anderer Gebühren wieder aufgezehrt, sodass es den brasilianischen Käufer später teurer käme als ein lokal fabriziertes Einstiegsmodell.

STANDARD: Was bedeutet dieser Zustand wirtschaftlich für die alten und neuen Anbieter am brasilianischen Automarkt?

Demel: Wie Sie wissen, haben auch wir im Januar 1999 in Südbrasilien ein neues Werk eröffnet, würden uns allein deshalb natürlich aber nicht mehr als Newcomer bezeichnen, denn wir sind ja schon seit Jahrzehnten in diesem Land aktiv. Und unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen empfinden wir diese langjährige Präsenz als ausgesprochenen Vorteil. Nun ist heute der Investitionsbedarf für eine Montagelinie an jedem Standort der Welt ziemlich gleich, dasselbe gilt zum Teil auch für den Materialaufwand. Denn beispielsweise wird Stahl überall in Dollar gehandelt, zugleich beziehen sie manche Hightech-Komponenten wie etwa die Autoelektronik, Katalysatoren und einiges andere in Europa wie in Brasilien aus der gleichen Quelle.

STANDARD: Vorhin sprachen Sie von einem günstigeren Vorkostenblock etwa in Osteuropa, jetzt aber soll der Herstellaufwand doch wieder ungefähr gleich sein. Wie reimt sich das zusammen?

Demel: Den Ausschlag im Hinblick auf Preis und Rentabilität beim Betrieb einer Montagelinie gibt im Einzelfall eben der jeweilige Fixkostenblock, also insbesondere der Aufwand für Logistik, Abschreibungen und Personal. Dabei sind Löhne und Gehälter heute in Sao Paulo etwa gleich hoch wie in Spanien, im brasilianischen Hinterland können sie freilich auch 20 bis 50 Prozent niedriger sein. Jedenfalls: Per Saldo fahren die Autos hier zu ungefähr gleichen Kosten wie in manchen Ländern Westeuropas aus der Werkshalle, aber zu niedrigeren Preisen, jedoch zu höheren als in Osteuropa.

STANDARD: Wie rechnen sich ein Werksneubau oder eine Modernisierungsinvestition in Brasilien unter solchen Bedingungen für die Hersteller?

Demel: Aus der Sicht der VW-Gruppe sprechen zwei Argumente für unser altes und neues Engagement hier. Seit 1993 wird der Absatz von Fahrzeugen mit einem Hubraum von einem Liter in Brasilien steuerlich gefördert. Dieser Autotyp, "carro popular" genannt, stellte im Vorjahr 75 Prozent aller Neuzulassungen dar und speziell bei VW do Brasil 56 Prozent.

Der "carro popular" verschafft den Herstellern also die nötige Kapazitätsauslastung und wird das wohl noch auf geraume Zeit tun, gleich ob die Steuervergünstigung von Einstiegsmodellen künftig fortgesetzt wird oder nicht. Wir investieren deshalb zurzeit umgerechnet etwa 425 Millionen Euro in die Totalrenovierung unserer ältesten und größten brasilianischen Fabrik in Sao Bernardo do Campo, einem Vorort Sao Paulos am Rande der Anchieta-Autobahn.

STANDARD: Aber VW hat wohl auch in Brasilien kaum die Absicht, sich als Anbieter von Einstiegsmodellen zu positionieren?

Demel: Natürlich nicht. Das bereits erwähnte neue Werk in Curitiba stellt deshalb ja die Prestigemodelle Audi A3 und Golf her, die wir in Brasilien besser betuchten Käufern anbieten und zahlreich exportieren wollen.

STANDARD: Was haben Sie in dieser Hinsicht erreicht?

Demel: Im Vorjahr erzielte VW do Brasil mit 115.000 Einheiten das beste Ausfuhrergebnis des vergangenen Jahrzehnts. Heuer wollen wir mindestens wieder auf den gleichen Exportabsatz kommen, was wegen der wirtschaftlichen Probleme Argentiniens, den unsicheren US-Konjunkturaussichten und den Einfuhrrestriktionen Mexikos nicht einfach sein wird.
EURO entfiel. Im Vorjahr halbierte sich der Verlust der brasilianischen Autoindustrie zwar wieder auf rund 1,1 Mrd. EURO, aber da hatten die Newcomer schon die Hälfte dieser Einbusse zu verkraften.

Standard: Chrysler hat sein neueröffnetes kleines Werk in Brasilien bereits wieder geschlossen. Bei Mercedes grübelt man anscheinend noch, ob und wie es drüben weiter gehen soll. Wird unter den Newcomern in Brasilien darüber hinaus noch das eine oder andere Unternehmen auf der Durststrecke bleiben?

Demel: Das kann man unter den derzeitigen Verhältnissen natürlich nie ganz ausschließen. (Lorenz Winter, D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 2. 5. 2001)