Wien - "Verdammter Schlamm!", flucht Michael Schabuß und zerrt eine Zeit lang an seinem Bein, bis er es wieder frei bekommt. Dann holt er das Sperrnetz ein, während seine Kolleginnen und Kollegen den Fang an Land bringen. Das Team der Wissenschafter hat wieder fette Beute gemacht. Ein Fang, den sie vor ein paar Jahren noch sonstwo hätten machen können - aber sicher nicht hier. Quasi mitten in der Stadt, zwischen Autobahn und den Westbahngleisen - in den Rückhaltebecken des Wienflusses.

Seit 1999 wird nun schon viermal pro Jahr hier gefischt, um ein weltweit einzigartiges Projekt wissenschaftlich zu begleiten: Die Renaturierung eines rund 25 Kilometer langen Stadtflusses. Und wie erfolgreich es ist, zeigt sich bereits jetzt im ersten fertig gestellten Teilabschnitt: in den sechs Hochwasserschutz-Rückhaltebecken an der Westlichen Stadtgrenze - und im neuen Biotop des Mauerbach-Beckens.

"Humanste Methode"

Die Wissenschafter beginnen in einem der Hochwasserschutzbecken an den Gestaden des Wienflusses mit ihrer Bestandsaufahme. Die großen Plastikkisten sind randvoll mit Fischen gefüllt, die benommen und ziemlich verdutzt im Wasser stehen: Schließlich hatten sie gerade im Wasser eine elektrische Ladung abbekommen. "Das Elektrofischen ist nach wie vor die humanste Methode", erläutert Schabuß. "Die Fische werden dabei im Wasser aktiv von einer Anode angezogen. Würden wir nur mit Netzen fangen, hätten wir einen Ausfall von zirka 30 Prozent."

So aber überleben fast alle. Werden registriert, gemessen, gewogen: "Dieser Watzel ist ein Zander", erklärt Schabuß dem Laien. Schleien schleichen durch das Kistenwasser, Rotaugen, Barsche, Aitel. "Das ist ein Giebel - eine Kretz'n. Die vermehren sich ziemlich stark, weil sie ihre Eier auch von anderen Arten befruchten lassen können." Hier aber sind sie relativ selten.

Als das Wissenschafterteam vor dem Umbau der Becken mit der Bestandsaufnahme begann, hatten sie nur sieben, acht Fischarten gefunden. Jetzt sind es bereits 19 heimische Arten, die hier fischeln - "und ein paar Exoten", erklärt Hubert Keckeis, der im Rahmen dieses Projektes des Instituts für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien das Fischmonitoring leitet. Und es werden noch mehr werden; "Der Wienfluss hat ein Potenzial von bis zu 60 Arten."

Zuzug von der Donau

Die neuen Arten sind ganz von selbst gekommen, waren stromabwärts in das neue Biotop zugewandert - "und wenn der ganze Wienfluss fertig ist, werden wir vielleicht sogar ganz ohne Initialbesetzung auskommen", hofft Keckeis. Denn wenn der Stadtfluss vom Donaukanal bis hierher naturnah gestaltet ist, sollen die Fische auch von der Donau her flussaufwärts zuziehen können. Die jetzige Forschung soll sicherstellen, dass beim Umbau die optimalen Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

Nach der Registrierung werden die vom Elektrodusel halbwegs erholten Tiere wieder zu Wasser gelassen. Und das Wissenschafterteam fährt zwischen Schilf und Büschen mit dem Ruderboot weiter zur nächsten Fangstelle. "Da kommt jetzt die Biberburg", weiß Schabuß - "schau'n wir einmal, wie wir an der vorbeikommen." DER STANDARD, Print-Ausgabe 2. 5. 2001)