Der konservative Parisien hat sich schon halb resignierend, halb amüsiert, ins Unvermeidliche geschickt: "Wenn wir schon links werden, dann kann der Kandidat auch schwul sein." Einen Irrtum der französischen Meinungsforscher einmal ausgeschlossen, wird Paris vom kommenden Sonntag an die erste Metropole Europas sein, die von einem bekennenden Schwulen regiert wird: Vor zwei Jahren hat sich der Senator und jetzige sozialistische Bürgermeisterkandidat Bertrand Delanoë in einer TV-Sendung als homosexuell geoutet. Damit war das Thema "sexuelle Präferenzen" fürs Erste einmal abgehakt - und auch im laufenden Pariser Gemeinderatswahlkampf hat es entgegen mancher Befürchtungen von Delanoës Wahlkampfstrategen kaum eine Rolle gespielt. Der 51-jährige Sozialist, der bis vor kurzem gerade einem Fünftel der Pariser Stimmbürgerschaft überhaupt bekannt war, profitiert von fast zweieinhalb skandalgeschwängerten Jahrzehnten neogaullistischer Herrschaft über Paris. Noch viel günstiger wirkt sich für den farblosen, aber fleißigen Delanoë aus, dass es die zerstrittene Rechte nicht geschafft hat, sich auf einen attraktiven Gegenkandidaten zu einigen. Noch-Bürgermeister Jean Tiberi wurde nach einer schier endlosen Skandalserie von den Neogaullisten aus der Partei gefeuert und buhlt nun, voll des Zorns, als sein eigener Kandidat um den Zuspruch der Wähler. Beim zweiten rechten Kandidaten, dem Ex-RPR-Generalsekretär Philippe Séguin, sind die auf die Staatspräsidentschaft gerichteten Hintergedanken seiner Bürgermeisterpläne so offenkundig, dass der viel besser lokal verwurzelte Delanoe leicht als bessere Alternative durchgeht. Jüngste Umfragen zeigen sogar, dass er selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Séguin und Tiberi das Kriegsbeil begraben, siegen würde. Geboren in Tunis Delanoë wurde am 30. Mai 1950 in Tunis geboren, studierte in Toulouse und schloss sich 1972 der Parti Socialiste an. Von 1977 an war er Pariser Stadtrat, 1981 zog er für das XVIII. Pariser Arrondissement als Abgeordneter in die Nationalversammlung ein und wurde zugleich Parteisprecher. 1986 schraubte er seine politischen Aktivitäten auf ein bloßes Gemeinderatsmandat in Paris zurück, um sich als Unternehmensberater auf privatwirtschaftlichem Gebiet umzutun. 1993 wurde er dann Fraktionsführer der Sozialisten im Hôtel de Ville und zwei Jahre später Senator. 1999 hat Delanoë ein Buch ("Um der Ehre von Paris willen") verfasst, in dem er mit den monolithischen Politstrukturen der Metropole scharf ins Gericht ging und sich selbst als Gegengift empfahl. So wie es aussieht, wird er den "Vertrag für die Veränderung", den er mit den Pariser Bürgern eingehen möchte, schon bald in der Realität erproben können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.3.2001)