New York - Natürlich denkt man zuerst an den Anzug. Ein maßgeschneiderter Dreiteiler, der Farbton zwischen Creme und Pergament, darunter ein blassblau gestreiftes Hemd mit sorgsam gestärktem Kragen, eine schlichte Seidenkrawatte. Man kann wie Norman Mailer finden, "dass ein Mann dämlich ist, der ständig einen weißen Anzug trägt, besonders in New York". Man kann aber auch eingestehen, dass der amerikanische Schriftsteller Tom Wolfe, der am Freitag 70 wird, über 40 dieser Exemplare im Schrank hängen hat und sich fünf bis sechs Mal am Tag in ein Sauberes wirft, eines vollbracht hat: den Imagesprung vom gefeierten Bestsellerautor zum literarischen Popstar. Yuppie- und Getto-Kontraste Wer wie Tom Wolfe, der seit fast vier Jahrzehnten den auffälligen Look eines in Richmond, Virginia geborenen Südstaaten-Dandys kultiviert, lenkt die Aufmerksamkeit seines Publikums automatisch auf den Lauf der Zeit. Vier Dekaden hat er in seinen Werken auf den Begriff gebracht: die Ära der Kennedys und den Schick des Radikalen der 60er Jahre in "Unter Strom". Die Egomanie der 70er in "Die Helden der Nation". Die von Yuppie- und Getto-Kontrasten geprägten 80er Jahre in "Fegefeuer der Eitelkeiten". Und, in seinem bisher letzten Werk, der 920 Seiten langen Südstaatensaga "Ein ganzer Kerl", ein wüstes, darwinistisches Sittenbild aus den Vereinigten Staaten der Neunziger. "Manchmal fühle ich mich schon als Romancier" Werke, die dem Leser Schlüssellochblicke verschafft haben - in die Vorstandsetagen großer Konzerne, in die Crackhäuser amerikanischer Slums, in die feinen Villen abgelegter Ehefrauen. Denn Wolfe ist im Grunde immer das geblieben, was er ursprünglich einmal war - ein Journalist, dessen große Kunst darin besteht, durch feinste Beobachtungen zu verblüffen und zu verzaubern. "Manchmal fühle ich mich schon als Romancier", sagt er über sich selbst. "Aber eigentlich denke ich, weiß ich, dass ich ein Reporter bin." "New Journalism" Es war dieser sprachliche Drive, mit dem Tom Wolfe Mitte der 60er Jahre den amerikanischen Journalismus in neue Bahnen lenkte. Unter dem Titel "Das bonbonfarbene tangerinerot-gespritzte Stromlinienbaby" veröffentlichte er 1965 eine Reportage über die Subkultur junger Autofanatiker im US-Magazin "Esquire" - verrückte 49 Seiten lang, geprägt vom rasanten Tempo der Popmusik, von den schnellen Schnitttechniken neuer Kinofilme. Ein erster Klassiker des "New Journalism". Trotzdem betont Wolfe immer, "eine sehr formelle Person" zu sein: weiße Standarduniform, starres Beharren auf seine uralte, mechanische Schreibmaschine, für die es kaum mehr Farbband und nur noch drei Reparaturgeschäfte in ganz New York City gibt, eine jahrelang wohl überlegte Hochzeit mit Ehefrau Sheila im späten Alter von 48. Kinder habe er eigentlich nie haben wollen, gestand der Schriftsteller dem "New York Times Magazin". Als er dann doch mit 50 eine Tochter bekam, sei er "überrascht gewesen, wie wunderbar es war". Jetzt, da das Grübeln und Zweifeln, die elf unendlich langen Jahre Arbeit an "Ein ganzer Kerl", die 1996 mit einer Herzattacke endeten, vorbei sind, ist Tom Wolfe wieder oben auf. Schule und Erziehung Als nächstes wolle er "einen Roman über Schule und Erziehung schreiben", verkündete er. Und wird sich selbst abermals im Fegefeuer seiner eigenen Eitelkeiten wiederfinden, erneut "das beste Buch der Welt" schreiben zu wollen - wie er vor "Ein ganzer Kerl" bereits vollmundig versprochen hatte. (APA/dpa)