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Grafik: Archiv
Die Politik des Naziregimes in dem eroberten Polen war von Anfang an auf die in Hitlers "Mein Kampf" vorgezeichnete Schaffung von "Lebensraum" im Osten ausgerichtet. Die Reichsgrenze wurde weit über die Grenzen von 1914 hinaus ostwärts verschoben. Als neue "Reichsgaue" entstanden Danzig-Westpreußen und Wartheland; dieses schloss nicht nur die alte preußische Provinz Posen, sondern auch die zweitgrößte Stadt Polens, Lódz, ein. Ostpreußen wurde nach Süden, bis an die Weichsel, erweitert, Ostoberschlesien kam unter Einschluss des Gebiets von Auschwitz/Oswiecim zu Schlesien. Auf diesem neuen Reichsterritorium befand sich nahezu die ganze Industrie Polens. Die Ortsnamen erhielten, soweit es keine früheren deutschen gab, Fantasienamen - so hieß Lódz nun Litzmannstadt, Gdingen/ Gdynia war den Eindeutschern zu slawisch und wurde zu Gotenhafen usw. Der Rest des von den Deutschen besetzten Gebiets wurde in ein "Generalgouvernement" umgewandelt, auch dieses durfte nicht den Namen Polen tragen und bekam nicht einmal - anders als das "Protektorat" Böhmen-Mähren - eine einheimische Scheinverwaltung. 1941 wurde es noch um den seit 1939 sowjetischen Distrikt Lemberg erweitert. Unumschränkter Herr dieser faktischen Kolonie war der Generalgouverneur Hans Frank, der in der alten polnischen Königstadt Krakau seinen Sitz nahm. Eine der ersten seiner Maßnahmen war die Schließung der Gymnasien und Universitäten; zugleich begann die Verhaftung zahlreicher polnischer Intellektueller und ihre Einweisung in Konzentrationslager. Für alle Polen von 14 Jahren an - für Juden ab zwölf - wurde die Arbeitspflicht eingeführt. Ihre Löhne wurden ebenso auf niedrigem Niveau festgelegt wie die Nahrungsrationen. Rund zwei Millionen Polen wurden - vor allem aus dem "Warthegau", wo Russlanddeutsche, die Hitler 1939/40 "heimholte", angesiedelt wurden - ins Generalgouvernement abgeschoben. Polnische Kriegsgefangene und bald auch Zivilisten wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Um jeden Gedanken an Widerstand von vornherein auszuschließen, wurden oft noch während des Feldzugs oder unmittelbar danach exemplarische Exekutionen "Verdächtiger" durchgeführt. Als Fernziel nach dem "Endsieg" war die Aussiedlung der nicht germanisierbaren Polen nach Sibirien vorgesehen. Die schwersten Verfolgungsmaßnahmen aber trafen von Anfang an die rund drei Millionen polnischen Juden. SS- und Sicherheitspolizeieinheiten waren der kämpfenden Truppe unmittelbar gefolgt, stifteten Pogrome an, demütigten die Juden, raubten ihre Geschäfte aus und verübten Morde. Nach dem Terror der ersten Wochen folgten jene Verordnungen, die Polen zum Experimentierfeld für die Vernichtung der Juden machten. Alle Juden mussten Armbinden mit dem blauen Zionsstern tragen - später folgte der gelbe Stern - sie durften bestimmte Stadtteile, Parks und öffentliche Einrichtungen nicht mehr betreten. Das war erst der Anfang. Es folgte in den Großstädten die Bildung von Gettos, abgezäunten "jüdischen Wohnbezirken"; im Laufe der Zeit wurden die Juden aus kleineren Ortschaften dorthin gebracht. Die Konzentrierung der Juden sollte die "streng geheim zu haltenden Gesamtmaßnahmen" (so Heydrich schon am 21. September 1939) vorbereiten. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde dann dieses "Endziel" in Vernichtungslagern wie Treblinka, Sobibor, Majdanek, Belzec und schließlich Auschwitz-Birkenau realisiert. Auch aus dem Getto von Warschau, wo Hunderttausende zusammengepfercht waren und Hunger und Seuchen täglich massenhaft Opfer forderten, begannen die Deportationen, und die Juden ahnten, was dies bedeutete. Jungen Juden gelang es, einen Widerstandsapparat aufzuziehen und Waffen von "draußen", aus dem polnischen Untergrund, zu bekommen. Mit dem Mut der Verzweiflung wollten sie lieber im Kampf sterben als in den Gaskammern. Als die Deutschen das Getto endgültig räumen wollten, am 19. April 1943, stießen sie auf erbitterten Widerstand. Erst nach einem Monat, mit dem Einsatz von Panzern, mit der Zerstörung des Gettos von Haus zu Haus, gelang es der SS, den Aufstand niederzuwerfen. Vom ersten Tag der Besetzung an hatten sich in Polen Widerstandsgruppen gebildet. Sie wurden zunächst vor allem von aus den Gefangenenlagern geflohenen oder untergetauchten Offizieren organisiert. Vertreter der alten Parteien - mit Ausnahme der durch den Hitler-Stalin-Pakt desavouierten Kommunisten - bauten einen militärischen Apparat auf, der sich die Bezeichnung Armija Krajowa (AK), - "Armee im Lande" oder "Heimatarmee"- gab; sie verstand sich als Untergrundarmee der von den Alliierten anerkannten polnischen Exilregierung in London. Deren Chef, General Wladyslaw Sikorski, befehligte auch die polnischen Truppen, die im Rahmen der alliierten Streitkräfte kämpften. Die AK-Führung stand dem Kreml auch nach dem Überfall Hitlers mit großem Misstrauen gegenüber. Das war insofern verständlich, als sie nicht nur die Eingliederung ihrer Ostgebiete in die ukrainische und weißrussische Sowjetrepublik als Raub betrachtete, sondern auch von den Verfolgungen durch den NKWD und der Deportation von Hunderttausenden Polen aus diesen Gebieten nach Sibirien und Zentralasien wusste. Erst Monate nach dem Überfall der Hitlertruppen erlaubte Stalin 1942 die Wiedergründung der polnischen KP unter dem Namen "Partei der Arbeit" (PPR). Deren Leitung übernahm Stalins Vertrauensmann Boleslaw Bierut. Allerdings hatten schon zuvor kommunistische Kader unter Wladyslaw Gomulka und Marian Spychalski im Generalgouvernement Widerstandsnetze aufgezogen. Mit ihnen trat die PPR in Verbindung, Partisanengruppen wurden gebildet. Sikorski flog im Dezember 1941 nach Moskau und erhielt von Stalin die Zusage, dass alle polnischen Gefangenen und Verbannten freigelassen würden; General Wladyslaw Anders, bis dahin im Kerker, durfte aus ihnen eine Armee rekrutieren, auf Drängen der Westalliierten gelangte diese über den Iran an die Afrika- und später an die Italien-Front. Allerdings blieben bei der Freilassung der Polen trotz wiederholter Urgenzen aus London Tausende Offiziere verschollen. Als im April 1943 die Massengräber von Katyn von den Deutschen entdeckt wurden und die Exilregierung eine internationale Untersuchung verlangte, brach Stalin, der die Morde den Deutschen zuschob, die Beziehungen zu den "Londonern" ab; Sikorski kam wenig später bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz über Gibraltar ums Leben. Anfang 1944 erreichte die Rote Armee die Stadt Chelm östlich von Lublin. Die Kommunisten gründeten dort am 22. Juli 1944 das "Polnische Komitee der Nationalen Befreiung" mit Boleslaw Bierut an der Spitze. Die UdSSR anerkannte es als legale Regierung Polens. Die Führung der AK sah darin den ersten Schritt zu der von ihr befürchteten Sowjetisierung ihres Landes. Als sich die Sowjettruppen Warschau näherten und man schon vom anderen Ufer der Weichsel Geschützdonner hörte, entschloss sich der Chef der Heimatarmee, Graf Tadeusz Bor-Komorowski, den Befehl zum Aufstand gegen die offenbar geschwächten Deutschen zu geben. Warschau sollte in der Hand der polnischen Patrioten sein, ehe die Rote Armee einmarschierte. Am 31. Juli 1944 erhoben sich die im Untergrund auf diesen Tag vorbereiteten an die 50.000 bereitstehenden Kämpfer der AK. Der Aufstand kam überraschend - Warschau war binnen weniger Tage zur Hälfte befreit. In aller Eile wurden Barrikaden für den zu erwartenden Gegenangriff der Deutschen errichtet. Zum ersten Mal seit September 1939 konnten die bisher im Geheimen verbreiteten Zeitungen auf der Straße angeboten, an den Häusern die weiß-roten polnischen Farben gehisst werden. Aber die AK-Generäle hatten sich über die Schwäche der Wehrmacht Illusionen gemacht. Sehr bald trat sie zum Gegenangriff an. Die schwache Feuerkraft der AK war den Panzern, dem Artilleriebeschuss und den Bombenangriffen auf Dauer nicht gewachsen. Was von Warschau noch stand, wurde gnadenlos bombardiert. Das Kanalsystem wurde zu den Kasematten der Aufständischen. Bor-Komorowski und die Londoner Exilregierung richteten verzweifelte Hilferufe an die Westalliierten, Bombenangriffe gegen die Deutschen zu fliegen und Fallschirmjäger einzusetzen. Sie wurden mit Ausreden abgespeist. Dahinter standen die Zusicherungen an Stalin, dass Polen zu zwei Drittel Interessensphäre Moskaus und nur zu einem Drittel des Westens sein werde. Der neue polnische Exilchef, Stanislaw Mikolajczyk, versuchte das, was die AK bisher vermeiden hatte wollen: Er flog nach Moskau, um bei Stalin Hilfe zu erbitten. Dieser behauptete bei der ersten Unterredung, von einem Aufstand in Warschau nichts zu wissen. Dann warf er der AK vor, antisowjetisch zu sein und sogar die rechtsradikale Widerstandsgruppe NSZ ("Nationale Streitkräfte"), die immer noch auch die Juden verfolgte, in ihre Reihen aufgenommen zu haben. Schließlich aber sicherte er Hilfe zu. Doch er hielt das Versprechen nicht, die Aufständischen über die Luft mit Waffen und Proviant zu versorgen. Nach 63 Tagen, am 2. Oktober, musste Bor-Komorowski vor der Übermacht kapitulieren. Der Aufstand hatte 300.000 Menschen das Leben gekostet. Jenen AK-Offizieren, die nicht in deutsche Gefangenschaft gerieten, wurde nach Kriegsende in Moskau der Prozess gemacht, oder sie verschwanden in den Lagern und Kerkern des NKWD. Die der geplanten Einbeziehung Polens ins sowjetische Imperium gefährlichste Kraft war vernichtet. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 24./25. 2. 2001)