"Wer bist du?", sagte der kleine
Prinz. "Du bist sehr hübsch ."
"Ich bin ein Fuchs", sagte der Fuchs.
"Komm und spiel mit mir", schlug
ihm der kleine Prinz vor. "Ich bin so
traurig." "Ich kann nicht mit dir
spielen", sagte der Fuchs. "Ich bin
noch nicht gezähmt!" "Ah, Verzeihung!", sagte der kleine Prinz. Und
nach einiger Überlegung fügte er
hinzu: "Was bedeutet ,zähmen?"
Natürlich bringt der Fuchs dem
kleinen Prinzen bei, was das heißt,
nämlich "vertraut machen", und
ebenso natürlich bringt das Tier
dem Prinzen bei, wie er sich ihm
vertraut machen kann. Der Akt der
Zähmung erfordert den Willen beider Subjekte, formt und erweitert
beider Bewusstsein und stellt nebenbei eine kalkulierbar einherschreitende Subjekt-Objekt-Beziehung auf den Kopf. Übertragen in
eine einfachere politische Geschichte der Wende entspräche
dies dem Dressurakt, den Wolfgang
Schüssel an Jörg Haider versucht
hat, wobei offen bliebe, wer wen zu
zähmen versuchte - oder, wie dieser Fuchs sagen würde, wer sich
wen "hergerichtet" hat.
Doch das wäre nur ein Ertrag aus
der Fülle schlicht gekleideter Erkenntnisse dieses bizarren Textes,
der Generationen Pubertierender
Tränen der Rührung in die Augen
getrieben hat. Wie kaum ein anderes Werk der Weltliteratur hat der
letzte Prosatext von Antoine de
Saint-Exupéry eine rezeptionelle
Aura geschaffen, deren jedem Zeitgeist konforme Anreicherungen der
bescheidenen Qualität des Textes
nie standhalten konnten. Der kindliche Erzählton evoziert die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies einer universellen Kindheit,
die zur Zeit der Entstehung des
Textes 1942, stärker aber noch in
den ersten Nachkriegsjahren die
Gefühlslage einer ganzen Generation getroffen haben mag.
Flucht in die Kindheit
Einiges von dem Lebensekel, der
Saint-Exupéry die letzten zwei verbleibenden Jahre bis zu seinem Tod
begleitete und der in seinen letzten
Briefen als zunehmende Klage über
eine ihm immer unbegreiflicher
werdende Welt durchklingt,
schwingt in der eskapistischen
Konstruktion des Buches ebenso
mit wie in den Widmungen: Der
Autor schreibt nicht für Kinder,
sondern für den erwachsenen
Freund im besetzten Frankreich,
der einmal ein Kind war. Also folgt
konsequenterweise der Flucht in die Kindheit im ersten Abschnitt
des Buches die Flucht des Erwachsenen in die Fliegerei, danach der
Absturz in die Wüste und die Verwebung biografischer Fäden -
Saint-Exupéry war 1935 über Ägypten abgestürzt - zu einer bekenntnishaften Phantasmagorie, die eine
Beschwörung des kindlichen Blickes auf die Welt in das Zentrum
stellt und den eigenen Tod metaphorisch vorwegnimmt.
Saint-Exupéry verschwand mit
seinem Flugzeug 1944 aus der Arena des Luftkrieges, ein Kind bis
zuletzt, das sich dem Erwachsenwerden verweigerte, solange es
ging - und von dem die Legende
will, es sei vom Feind abgeschossen worden. Viel wahrscheinlicher ist,
dass der Pilot, den ein befreundeter
Arzt für fluguntauglich erklärt hatte, seine Sauerstoffmaske anzulegen vergaß und ohnmächtig wurde.
Wie auch immer, die Legende des
"Saint-Ex" verschmolz mit dem
stärker werdenden Leuchten seines
letzten Werkes zu einer seltsamen
Gloriole, in der der kleine Prinz jedem als das erscheint, was er eben
sehen will: Der deutsche Fundamentologe Martin Heidegger erkennt in ihm den Vertreter einer
"Philosophie der Technologie",
Esoteriker schwurbeln von den
Prinzipien Glaube, Liebe und Hoffnung daher, wenn sie an die drei
Vulkane auf dem Planeten des Prinzen denken, und Pazifisten haben ihn als Wegbereiter einer
wahrhaft allumspannenden Brüderlichkeit auserkoren, deren Vokabular eher infantilisiert als naiv
wirkt.
Warum sollte sich also eine so
flexible Figur der Umdeutung in
ein Paradigma für das Wirken eines
Politikers wie Wolfgang Schüssel
entziehen, dessen veröffentlichtes
Bild so vieles aus dem Fundus bezieht, der auch die literarische
Vorlage nährt?
Schüssels musische Ader ist sogar schon News aufgefallen, der
Hobbyzeichner, Klavier- und Fußballspieler mit dem feinen, wie
dem Blick auf die schöneren Innerlichkeiten einer Künstlernatur folgenden Lächeln scheint, seit er
Kanzler-Prinz wurde, auf unsichtbarem Drahtseil über die Abgründe
des Tagesgeschäftes zu tanzen,
ganz als hätte er das testamentarische Vermächtnis der Kunstfigur
verinnerlicht: "Man sieht nur mit
dem Herzen gut. Das Wesentliche
ist für die Augen unsichtbar."
Mit leichtem Gepäck
Selten, dass eine historische
Konstellation einer Partei die Wahl
erlaubt, sich aufzugeben oder sich
dem Parforceritt eines Peter Pan
anzuschließen; noch seltener, dass
er gelingt und sie tatsächlich aus
tiefster Verlassenheit auf einen
kleinen, aber autarken Stern führt.
Wolfgang Schüssel hat es geschafft.
Er ist, notabene, der kleine Prinz
der Innenpolitik und hat außer dem
Kunststück, seine Sichtweise und
sein Erleben der Welt zu dem der
Partei zu machen - eine mit leichter
Hand hingezauberte autistische
Kollektivierung - ein weiteres vollbracht: seine Entourage glauben zu
machen, er, der typische Reisende
mit leichtem Gepäck, führe einen
Wunderrucksack mit, in dem die
Wegzehrung für alle Platz habe.
Glaube für die, die glauben wollen,
Geduld für die, die sich gedulden
wollen, Macht für die, die mächtig
sein wollen. Und Hoffnung, Liebe
sowieso. Zuversicht? Auch.
So betrachtet erscheint uns
Wolfgang Schüssel wie ein rares
Wesen, das sich in die Politik verirrt hat. Das ist so falsch wie die
Annahme, der kleine Prinz wäre
nichts als die Ausgeburt der zu Ende gehenden schöpferischen Fantasie eines romantischen Epochenverschleppers. Politiker wie literarische Figur sind vor allem Rezeptionsphänomene, die ein speziell gestimmtes Publikum geschaffen hat: Sie sind also, was wir wollen, und uns daher so ähnlich, wie
wir es zulassen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.2.2001)