Daniel Anker Wer den höchsten Berg der Erde besteigen will, braucht sehr viel Kondition und Kohle. Und neben dem richtigen Leiter auch noch einen Schutzengel. Wer sich auf sicherem Grund in die Todeszone begeben will, liest Jon Krakauers Bestseller „In eisigen Höhen“ oder begibt sich in den Imax-Film „Everest“. Für atemberaubende Augenblicke ist in beiden Fällen bestens gesorgt. „Ich stand auf dem höchsten Punkt der Erde, den einen Fuß in China, den anderen in Nepal.“ So beginnt Jon Krakauers schonungslos ehrliches Buch über die jüngste Katastrophe am Mount Everest. In den USA verkaufte sich „Into Thin Air“ eine Million Mal, im deutschsprachigen Europa ging die Startauflage von 50.000 so schnell weg wie die vollen Sauerstoffflaschen auf dem Südgipfel, wenn die Gipfelsieger über den Dachfirst der Welt der rettenden Flasche und Tiefe entgegentorkeln. Am 10. Mai 1996 sind es 33 Menschen, die sich vom Lager Vier auf 7900m aufmachen. Viel zu viele für die schmalen Wand- und Gratpassagen. Unter ihnen Jon Krakauer als schreibender Kunde des neuseeländischen Bergführers Rob Hall, einem Star unter den kommerziellen Expeditionsanbietern. Am Hillary-Step kommt es zu Staus wie am Klettersteig der Rax an einem sonnigen Sonntag. Als dann ein keineswegs untypischer Höhensturm losbricht, sterben fünf Alpinisten, unter ihnen auch Rob Hall. Vom „Berg der Verdammnis“, wie der Everest werbeträchtig genannt wird, sind schon viele nicht mehr zurückgekommen, Topalpinisten und solche, die keine Ahnung vom Bergsteigen haben, aber um jeden Preis den Gipfel erreichen wollen. Der höchste Preis Gleich das erste Unglück war auch die größte Katastrophe: Sieben indische Sherpas, Träger einer britischen Expedition, starben am 7. Juni 1922 in einer Lawine unterhalb des Nordsattels. Ebenfalls den Lawinentod erlitten noch zweimal je sechs Alpinisten in den Jahren 1970 und 1974. Aber keines dieser Unglücke oder eines der anderen – insgesamt kamen am Everest seit 1922 mehr als 130Menschen ums Leben – erreichte eine Bekanntheit wie jenes vom Mai 1996. Es kommt darauf an, wer stirbt, wie er stirbt und wie vom Sterben berichtet wird: Tod oder Tragödie. Daß die Macher des Großleinwandfilmes „Everest“ Zeugen des Dramas werden, schadet weder dem Film noch dem Buch. Jon Krakauers Tatsachenbericht wurde bereits verfilmt. „Den Everest zu besteigen, ist eine total hirnverrückte Sache,“ sagt der Schauspieler, der den Schriftsteller spielt. Zu mühsam, zu gefährlich, zu teuer. Und trotzdem zieht der Berg große und kleine Bergsteiger unbarmherzig in seinen Bann. Die einen versuchen, eine eigene Expedition auf die Beine zu stellen. Die anderen buchen eine: Die Kunden von Rob Hall zahlten 65.000 US$ – ohne den Flug nach Nepal. Fast ein Himmelfahrtskommando, wenn in der Todeszone Fehler passieren und der Berg auch noch seine eiskalte Schulter zeigt. „Über 8000 m kann man die Leute nicht mehr richtig führen,“ sagt der deutsche Bergführer Ralf Dujmovits (36), Leiter von „Amical alpin“, einer der Topadressen für das kommerzielle Höhenbergsteigen. Für 1999 bietet er Pauschalkletterern zum dritten Mal den Everest an. Kostenpunkt: 48.500,– Mark. Mindestvoraussetzung: erfolgreiche Besteigung eines anderen 8000ers. Dujmovits tut alles, daß die Gäste das Dach der Welt erreichen. Aber eine Garantie für einen Erfolg kann der Leiter, der selbst schon dort oben und auf weiteren fünf der insgesamt 14 Achttausender stand, nicht abgeben. „Der Bergführer ist unter solchen Umständen nur mehr Organisator, Koordinator, Sicherheitsexperte, Trainer und Integrationsfigur der Mannschaft,“ stellt er fest. Er könne seine Kunden nicht einfach ans Seil nehmen und voransteigen. Deshalb werden an schwierigen Stellen Fixseile montiert, an denen sich die Everestler hochhieven. Laut Statistik bleibt jeder vierte Alpinist, der den Gipfel erreicht, für immer oben. DER STANDARD Samstag/Sonntag/Montag, 11./12./13. April 1998