In der Stiftung Leopold (und somit in Staatsbesitz) befindet sich nicht nur ein Schiele-Gemälde, auf das die Tochter von Jenny Steiner Anspruch erhebt, sondern auch ein Aquarell von Albin Egger-Lienz, das dem Salamifabrikanten Moric Pick gehört haben dürfte.

Eine Recherche von Thomas Trenkler (20. 10. 2000).

Damals, noch vor Hitlers Einmarsch, als der Bockerer, Franz Antels aufmüpfiger Fleischhauer, gern "Ihr Blatt, Herr Rosenblatt" zu sagen pflegte, wenn er mit seinem Freund Karten spielte, gab es in Wien zwar nicht Karo, aber Herz und Pick. Genau genommen Josef Herz und Moric Pick. Die beiden – der eine hatte seinen Firmensitz in der Brigittenau, der andere in Erlaa – waren Juden. Und Konkurrenten. Erzeugten sie doch ungarische Salami, wobei Moric Pick, der sich die Marken "Pickfein" und "Vortrefflich" registrieren ließ, der erfolgreichere gewesen sein soll.

1922 war der ungarische Staatsbürger, ein Diplomingenieur, mit seinem Bruder Jenö nach Wien gekommen, um eine Niederlassung der seit 1869 bestehenden Szegediner Salamifabrik Markus Pick zu gründen. Sie erwarben ein 17.000 Quadratmeter großes Fabriksgelände an der Erlaaer Schlossallee, das von einem 20 Meter hohen, für die Wurst- und Speckerzeugung allerdings nicht benötigten Schornstein dominiert wurde.

1934 verließ der Bruder das Unternehmen und ging zurück nach Szeged. 1937 emigrierte die ältere, 1938 auch die jüngere Schwägerin von Moric Pick nach Paris, weil sie eine Ahnung hatten, was folgen würde. Moric zu bewegen, es ihnen gleich zu tun, gelang den Schwestern nicht: Der Salamifabrikant blieb – mit seiner Frau Irma und der 1933 geborenen Tochter Vera.

Aber es folgte eben, was folgen musste: Am 17. Mai 1938, zwei Monate nach der Annexion, wird die Fabrik unter die kommissarische Verwaltung eines Dr. Alois Waschka gestellt. Die Nazis erschießen den Wachhund. Die Arbeiter, die im weitläufigen Fabriksgelände wohnen, sollen sich schützend vor ihren Chef gestellt haben. Wer diesem helfe, den werde er erschießen, soll der Ariseur gedroht haben. Das Familienvermögen wird beschlagnahmt.

Der Salamifabrikant versucht in der Folge, das Unternehmen zu verkaufen. Die Verhandlungen mit einer Schweizer Gruppe stehen aber gegen die Interessen des Alois Waschka, der sich für eine Inge Probst aus Graz, NSDAP-Mitglied seit 1933 und Arztwitwe seit dem Putschversuch 1934 (der Mann wurde tödlich von einer "Heimwehrkugel" getroffen), als Käuferin einsetzt:

Der Ariseur legt Moric Pick eine Verkaufserklärung zur Unterschrift vor, in die kein Kaufpreis eingetragen ist. Da er auch auf dessen Drohungen nicht reagiert, wird der "despotische Geschäftsführer" verhaftet. Wegen angeblicher Steuerhinterziehungen und "unsozialer Lohndrückerei gegenüber den armen Teufeln von Arbeitern". Die königlich-ungarische Gesandtschaft in Berlin setzt sich für Moric Pick ein. In einem Schreiben an das auswärtige Amt des Deutschen Reiches hält diese fest, dass die Bestellung eines kommissarischen Leiters "unter Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorbedingungen einer solchen Maßnahme" erfolgt sei. Doch die Intervention bleibt ohne Erfolg.

Betriebsstilllegung

Im August 1838 flieht Picks Frau Irma, eine Modistin, die an den "Gaunereien" beteiligt gewesen sein soll, mit ihrer fünfjährigen Tochter zur Großmutter nach Szeged. An der Grenze zu Ungarn kehrt das Kindermädchen, das mitzukommen gedachte, aus Furcht um. Im Dezember 1938 wird der Betrieb stillgelegt. 1939 kommt Marcus Pick frei, er folgt seiner Familie in die alte Heimat. Mit 1. Juli 1939 pachtet der Reichsfiskus die Räumlichkeiten der Fabrik für die Heeresstandortverwaltung. Im Jänner 1940 werden die Privatgegenstände des Moric Pick veräußert. Das ungarische Generalkonsulat scheitert mit seinem Antrag auf Anerkennung der Rechte: Am 30. Oktober 1941 wird das Fabriksgelände in Erlaa und ein Acker in Atzgersdorf, der ebenfalls Moric Pick gehört hatte, versteigert. Am 17. September 1942 wird der Akt geschlossen: "Entjudungsangelegenheit erledigt."

Konzentrationslager

Im Sommer 1944 wird die Familie Pick in Szeged von der SS festgenommen und deportiert. Arbeitseinsatz in Spitz an der Donau, Moric Pick wird von den Soldaten zusammengeschlagen. Am 8. Dezember trifft der Zug im Konzentrationslager Bergen-Belsen ein. Am 17. Februar 1945, einen Tag vor dem Geburtstag seiner Frau, kommt Moric Pick ums Leben; seine Tochter hatte ihn eine Woche zuvor zum letzten Mal gesehen. Ende März werden Mutter und Tochter nach Theresienstadt verlegt. Irma hat Typhus, wiegt 46 Kilo, die Tochter wird vor ihr getrennt. Vera ist nun zwölf Jahre alt.

Am 8. Mai werden sie zwar von den Sowjets befreit, aber Vera weiß wochenlang nicht, ob ihre Mutter noch lebt. Sie werden erst Mitte Juni zusammengeführt und reisen über Budapest nach Szeged. Dort finden sie nur Trümmer vor. Aber sie bleiben, weil sie nicht wissen, wohin sonst.

Im Herbst 1952 beschließen Mutter und Tochter, das "russische Ungarn" zu verlassen. Sie fahren nach Wien, um zu sehen, was aus der Fabrik geworden ist. Es muss ein trauriger Moment für die beiden gewesen sein. Die Hallen, die Kanzlei, die darüber liegende Wohnung mit den Barockkästen und Biedermeiervitrinen, den Perserteppichen und unzähligen Bildern: Alles leer. Die Kegelbahn gibt es nicht mehr und auch den Tennisplatz nicht. Nicht einmal Blumen im Garten. Aber irgendjemand pflanzte Apfelbäume. In der Not stopfen sich Mutter und Tochter die Taschen mit den Früchten voll.

Irma bleibt in Wien. "Sie hatte dort schöne Zeiten erlebt", sagt die Tochter. "Mich aber verband mit Wien nichts. Die einzige Erinnerung, die ich hatte, war an mein Puppenhaus." Vera geht nach England zu einer Freundin ihrer Mutter, die eine Studentin von Freud gewesen war. 1959 heiratet sie, 1970 geht sie mit ihrem Mann nach Ottawa.

Die Mutter erhält unterdessen die Grundstücke zurück und verkauft sie 1960 an die Stadt Wien. Doch der Betrag (2,4 Millionen Schilling, was einem Quadratmeterpreis von nur 156 Schilling entspricht) ist nichts im Vergleich zu dem einst florierenden Unternehmen, zu den Maschinen und Lastwägen, zu dem Mobiliar, dem Hab und Gut. Vera begreift bis heute noch nicht: "Meine Eltern haben doch anständig gearbeitet. Sie haben doch nichts gestohlen."

Im Jahr 2000 erfährt sie, dass Österreich bereit sei, Entschädigungen zahlen. Vera Gara wendet sich an die Botschaft, ein Diplomat gibt ihr die Adresse eines Bekannten, der Anwalt in Innsbruck ist. Dieser nimmt sich des Falles an. Und aus der riesigen Liste der konfiszierten, veräußerten und versteigerten Gegenstände sticht ihm sogleich ein Posten ins Auge: Der Sensenschmied, ein Aquarell von Egger-Lienz. Es dürfte sich im Besitz des Staates befinden. Als Der Dengler in der bundeseigenen Stiftung Leopold.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 10. 2000)