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Wer Kanzler wird, entscheidet der Bundespräsident - Rein rechtlich ist er dabei sehr frei, realpolitisch macht er von dieser Freiheit wenig Gebrauch.

Foto: APA/Hochmuth

Ob er noch bis zu den Neuwahlen im Amt bleibe, wurde Alfred Gusenbauer auf seinem Weg zu Bundespräsident Fischer gestern von einem ORF-Journalisten gefragt. „Natürlich – oder haben Sie eine bessere Idee?“, antwortete der.

Wer entscheidet darüber, wie lange der Kanzler sein Amt ausüben darf? Kann er „gekündigt“ werden? Darf er jederzeit aufhören? derStandard.at hat die wichtigsten Fakten zusammengefasst.

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Das Wichtigste zuerst: Gusenbauer kann Kanzler bleiben, muss aber nicht. Die Macht über seine Entlassung hat er selbst, der Bundespräsident und, was die Möglichkeit eines Misstrauensvotums angeht, der Nationalrat.

Der Bundespräsident hat in gewissen Fällen (etwa einer strafrechtlichen Verurteilung in gewisser Höhe oder einer Verurteilung des Kanzlers durch den Verfassungsgerichtshof) die Macht, den Bundeskanzler zu entlassen – in der Zweiten Republik war das aber noch nie der Fall. Der zweite „Kündigungsgrund“ wäre ein erfolgreiches Misstrauensvotum gegen den Kanzler durch eine Mehrheit des Nationalrats. Und schließlich besteht noch die Möglichkeit, dass der Präsident den Kanzler jederzeit, sozusagen aus freien Stücken, entlässt. Das allerdings ist noch nie passiert und auch für die Zukunft extrem unwahrscheinlich – Juristen gehen davon aus, dass diese Entlassung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn die Bundesregierung sonst „nicht mehr handlungsfähig“ ist.

Auf keinen Fall kann Fischer Gusenbauer dazu zwingen, sein Amt weiter auszuüben. Mit der Erklärung des Rücktritts (Demission) durch den Kanzler entsteht für den Präsidenten eine Rechtspflicht zur Enthebung.

Was könnte Gusenbauer dazu bringen, das Amt schon vor dem Neuwahltermin, also in den kommenden Wochen, zurückzulegen? Vor allem realpolitische Überlegungen. Es ist offensichtlich, dass Werner Faymann die Wahlkampfleitung und die Führung der SPÖ bereits voll übernommen hat und auf dieser Ebene auf Vizekanzler und ÖVP-Spitzenkandidat Molterer trifft. Bisher gab es vier Kanzler, die ihr Amt in der laufenden Regierungsperiode niederlegten: Raab, Gorbach, Sinowatz und Vranitzky. In den meisten Fällen passierte der Rücktritt, um dem Amtsnachfolger eine möglichst günstige Ausgangsposition für die kommende Wahlentscheidung zu sichern – Stichwort Amtsbonus.

Eine spannende Frage ist auch, was mit der Regierung passiert, wenn der Kanzler geht. Damit mussten sich Juristen erstmals in den 60er Jahren befassen, als Alfons Gorbach seinen Rücktritt als Bundeskanzler erklärt hatte und der Meinung war, dieser müsse den Rücktritt der ganzen Regierung nach sich ziehen. Dem widersprachen Juristen: Die Regierung bleibt im Amt, der Bundespräsident muss nur einen neuen Kanzler bestellen. In Deutschland ist das anders: Dort bewirkt der Rücktritt des Kanzlers den Amtsverlust sämtlicher Minister.

Fischer hat gemäß Bundesverfassung die Möglichkeit, nach einem etwaigen Rücktritt Gusenbauers eine Person seiner Wahl als Kanzler einzusetzen. Rein rechtlich darf das jede Person sein, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, das 18. Lebensjahr vollendet hat und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist. (Anita Zielina, derStandard.at, 10.7.2008)