"Na ja, ich würde sagen, es gibt in der Politik selbstverständlich Freunde. Aber nicht alle, die mit ,Freundschaft‘ grüßen, sind es auch. " Bundeskanzler Alfred Gusenbauer kann seine Enttäuschung über die "Parteifreunde" nicht ganz verbergen.

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STANDARD: Sie werden etwa zwei Jahre lang Bundeskanzler gewesen sein. Haben Sie sich bei der Angelobung im Jänner 2007 vorstellen können, dass die Ära Gusenbauer so bald zu Ende sein wird?

Gusenbauer: Nein. Ich bin eher davon ausgegangen, dass wir eine stabile Zusammenarbeit mit der ÖVP etablieren. Mir war zwar klar, dass das Konkurrenzverhältnis durch das Schließen einer großen Koalition nicht vorbei ist, aber ich habe mir gedacht, dass die ÖVP aus der Wahlniederlage des Jahres 2006 die richtigen Konsequenzen zieht und sich mehr gegenüber einem sozial gerechten Kurs öffnet.

Ich dachte mir, dass eine gute Kooperation möglich ist. Das ist so aber nicht eingetreten. Die ÖVP hat sich nach einer kurzen Reflexionsphase darauf verlegt, die gemeinsame Regierungspolitik durch endlose Streitereien zu überlagern. Mit allen Folgen, auch der Unruhe in der sozialdemokratischen Wählerschaft, bei den Funktionären.

STANDARD: Sie sind in den letzten Tagen oft gefragt worden, was Sie falsch gemacht haben. Anders gefragt: Was haben die anderen falsch gemacht, was hat die SPÖ falsch gemacht?

Gusenbauer: Ich will da keine Noten verteilen. Der Punkt ist der: Mir war klar, dass die Regierungsbildung 1999 nicht nur am Willen der ÖVP, jetzt eine schwarz-blaue Koalition zu etablieren, gescheitert ist, sondern auch an der mangelnden Beweglichkeit, die man selbst eingebracht hat. Daher habe ich mir gedacht, es ist sinnvoll, eine Koalition zu bilden, die entsprechend dem Wahlergebnis möglichst gleichberechtigt organisiert ist. Dazu ist auch eine relativ große Kompromissfähigkeit notwendig.

Das Problem war, dass in der Sozialdemokratie diese Kompromissfähigkeit nicht wirklich geschätzt wurde. Man ist davon ausgegangen ist, wenn man schon Erster in der Regierung ist, dann muss man seine Anliegen auch zu hundert Prozent durchsetzen. Und das ist unter einer solchen Konstellation halt nicht möglich.

STANDARD: War es dann nicht doch Ihr Fehler, in die Partei hinein zu wenig kommuniziert zu haben?

Gusenbauer: Von Anfang an, schon mit der Symbolfrage der Studiengebühren und der Abfangjäger, gab es die Unzufriedenheit mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Es bestand meiner Meinung keine große Bereitschaft, hier Kompromisse zu schließen.

STANDARD: Aber das hat es noch nie gegeben, dass eine Partei nach einem Wahlsieg mitten in der Legislaturperiode ihren eigenen Kanzler absägt.

Gusenbauer: Ja, gewisse Erscheinungen sind, wenn sie zum ersten Mal vorkommen, neu.

STANDARD: Was hat letztendlich diese Turbulenzen angetrieben? Wann kam der Punkt, an dem auch Sie gemerkt haben, es geht nicht mehr?

Gusenbauer: Das Kernproblem ist, dass in der SPÖ viele verwöhnt waren durch die Wahlergebnisse, die wir in der Opposition erreicht haben. Sagen wir so: Der Wind der Opposition war für viele auf Landesebene ein Rückenwind. In der neuen Situation haben viele die bundespolitische Situation als Gegenwind empfunden. Dann hat es auch die entsprechenden Wahlergebnisse in Niederösterreich, in Graz und in Tirol gegeben. Die hatten zwar alle auch eine sehr starke regionale Komponente, aber mit Sicherheit auch eine bundespolitische.

Das führt eben dazu, dass die verantwortlichen Landespolitiker der SPÖ, die sich bei nächster Gelegenheit der Wahl stellen müssen, sich überlegt haben, ob die Weiterführung dieser Situation für sie so günstig ist. Aus dem heraus ist erst ein Abgrenzungs-, dann ein Lizitationswettlauf entstanden. Da wurden immer wieder neue Forderungen gestellt, von denen klar war, dass sie nicht erfüllbar sind. Es gab in der SPÖ das steigende Bedürfnis, wieder für Verhältnisse zu sorgen, die einen Rückenwind für Landtagswahlen darstellen.

STANDARD: Verkürzt gesagt, haben die roten Länderchefs ihre eigenen Interessen über das Gesamtwohl oder über die Bundespolitik gestellt.

Gusenbauer: Das kommt darauf an, was man unter Gesamtwohl versteht. Aber klar ist, dass alle ihre politische Ebene zuallererst sehen, bevor etwas anderes gesehen wird. So ist das politische Geschäft.

STANDARD: Ist das nicht sehr bitter? Das sind langjährige Weggefährten von Ihnen, Leute, die von Ihnen maßgeblich unterstützt oder erst durch Ihre Hilfe in diese Ämter gekommen sind.

Gusenbauer: Diese Frage darf man nie persönlich nehmen, sonst ist man in der Politik fehl am Platz. Man muss das eher strukturell betrachten. Und da ist es natürlich so, dass Landtagswahlen für SPÖ-Spitzenkandidaten im Jahr 2005 lustiger waren als im Jahr 2008.

STANDARD: Das wird dann so radikal umgesetzt, dass man eine Bundesregierung an den Abgrund führt?

Gusenbauer: Die Frage, die sich dabei stellt: Was ist Absicht, und was sind Prozesse, die ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr einzufangen sind? Ich glaube nicht, dass hier ein Mastermind am Werk war. Aber klar ist, wenn es eine gespaltene Interessensituation in einer Partei gibt, wenn es zum Zweiten die immer schärfer werdende Auseinandersetzung mit dem politischen Mitbewerber gibt, der nicht in der Opposition, sondern in der Regierung sitzt, wenn das auch von einer medialen Dramaturgie begleitet wird, dann entsteht eine Situation, die sehr viel Eigendynamik hervorruft.

STANDARD: Was zählt Freundschaft in der Politik? Oder gibt es die nicht?

Gusenbauer: Na ja, ich würde sagen, es gibt in der Politik selbstverständlich Freunde. Aber nicht alle, die mit "Freundschaft" grüßen, sind es auch.

STANDARD: Wie geht es Ihnen persönlich? Wie gehen Sie mit dieser Situation jetzt um?

Gusenbauer: Meine Güte. Ich habe mit großem Engagement in der Sozialdemokratie seit mehr als 30 Jahren Politik gemacht. Ich habe viele der Zielsetzungen, die ich mir vorgenommen habe, auch erreicht. Die letzten achteinhalb Jahre waren sicher einigermaßen herausfordernd.

Ich glaube, dass es gelungen ist, ein paar Marksteine zu setzen, die ich für wichtig erachtet habe. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, noch ein paar mehr zu setzen. Aber man muss auch erkennen, wann es vorbei ist.

STANDARD: Was sind die Pläne für die Zukunft? Sie waren immer Politiker, gibt es ein Leben abseits der Politik?

Gusenbauer: Ganz ehrlich: Ich habe mich mit dieser Frage noch gar nicht beschäftigt, weil ich bis Montag davon ausgegangen bin, dass wir versuchen werden, bis zum Parteitag im Herbst zu zeigen, dass diese Doppelspitze funktioniert und eine vernünftige Kooperation darstellt. Wenn sich das auch in der Meinungsbildung der Sozialdemokratie niedergeschlagen hätte, wäre das durchaus etwas gewesen, mit dem man in die Auseinandersetzungen des Herbstes hätte hineingehen können.

Aber nachdem die ÖVP uns diese Chance nicht mehr gegeben hat, sondern gemeint hat, es reicht ihr ... (lacht) ... lustig: Mich hat man immer gefragt, wann ich jetzt endlich sage, es reicht mir mit der ÖVP. Insofern ist das guter Treppenwitz der Geschichte. Aber die ÖVP hat sich entschieden, den Weg der Auflösung zu gehen, daher besteht diese Möglichkeit nicht mehr, das unter Beweis zu stellen. Daher habe ich mich entschlossen, für klare Verhältnisse zu sorgen.

STANDARD: Da gab es keine Exit-Strategie mehr?

Gusenbauer: Nein, das war dann klar.

STANDARD: Von Ihnen heißt es, Sie seien sehr intelligent, Sie hätten Visionen, aber möglicherweise fehlt Ihnen die soziale Intelligenz, was etwa den Umgang mit Menschen betrifft.

Gusenbauer: Das halte ich überhaupt für eines der meiststrapazierten Vorurteile. Im direkten Umgang mit Leuten habe ich nie ein Problem gehabt. Wenn es ein Problem gegeben hat, dann ist das die Darstellung über mich gewesen. Es stellt sich auch die Frage, welche Möglichkeiten man hat: Ich habe meine Vorstellungen, wie sich Österreich weiterentwickeln muss.

Aber wenn der Partner in der Bundesregierung überhaupt kein Interesse daran hat, etwas Gemeinsames zu machen, dann ist der Spielraum für das Umsetzen nicht gegeben. Was noch dazu kommt: Für eine soziale Modernisierungsstrategie, die meiner Meinung nach dringend erforderlich ist, braucht es auch innerhalb der Sozialdemokratie mehr an Kreativität und Beweglichkeit. Aber man muss zur Kenntnis nehmen: Alleine kannst du das Land nicht verändern. (Michael Völker/DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2008)