Mir erscheint die jüngste Unterwerfungsgeste der SPÖ-Spitze im Verhältnis zur Kronen Zeitung und ihrem Herausgeber nicht nur demokratiepolitisch bedenklich. Sie ist auch politisch äußerst kurzsichtig. Erstens überschätzt diese Anbiederung den Einfluss der Kronen Zeitung, zweitens vergrößert sie diesen. Erst das Fehlen einer breiten demokratischen Diskussions- und Entscheidungskultur macht es möglich, dass so abrupte Kurswechsel stattfinden.

Bei SPÖ-Politikern, die traditionell in autoritären Familien erzogen, als Jugendliche manch despotische Systeme bewundert und sich daraufhin in einer halbautoritären SPÖ hochdienten, verwundert eine Suche nach neuen Wahlonkeln nicht! Dennoch ist festzuhalten, dass gerade Alfred Gusenbauer - im Gegensatz zu manch anderen seiner Genossen - den Diskurs mit der Bevölkerung praktiziert. Die bundesweite SPÖ-Bildungspolitik wie auch Gusenbauers Wahl der Bildungsministerin und Zielsetzungen wie jene der "Gesamtschule" sind Ausdruck dieser Grundhaltung.

Zugegeben: Es wird ihm Beratungsresistenz und Arroganz nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen. Diese trotzdem relativ positive Einschätzung Alfred Gusenbauers sollte aber vor der Folie weit verbreiteter Grundsatzlosigkeit und gesellschaftspolitischer Kurzsichtigkeit anderer Altlinker aus dieser Gruppe beurteilt werden - wie sie sich etwa in der opportunistischen "Flüchtlings- und Ausländerpolitik" Manfred Matzkas, Josef Caps und Karl Schlögls manifestiert(e).

Meines Erachtens hat die ÖVP durch Anbiederung an FPÖ-Wähler und Kronen Zeitung - vor allem in der Ausländerpolitik - jegliches Recht verwirkt, sich über die SPÖ zu entrüsten, nur weil sie sich etwas unverhüllter "anschleimt". Auf Bundesländerebene pflegt die ÖVP enge Kooperationen zwischen Landeshauptleuten und der Krone. Ein krasses Beispiel war die gleichgeschaltete und zugleich gespaltene Haltung von Krone und ÖVP in der Semmering-Basistunnel-Frage. Wobei die steiermärkische ÖVP gemeinsam mit der Landesausgabe der Krone für dieses Projekt votierte und die ÖVP-Niederösterreich gemeinsam mit der Krone vehement dagegen. Bei liberalen wie grünen Medien, Journalisten und Politikern fällt die Kritik an der Scharfmacherei der ÖVP in der Flüchtlings- und "Ausländerfrage" weit verhaltener aus. Das heißt, die gegenwärtige Empörung selbst ist auch Demagogie!

Das Herbeischreiben einer rot-blauen Koalition ist als ein primär taktisches Manöver aus dem Umkreis der ÖVP zu sehen, auf das so manch liberaler Kommentator hereinzufallen scheint. Nicht weil die Führungsriege der SPÖ für ausreichend grundsatzfest und moralisch zu halten ist, sondern weil diese Koalitionsvariante ziemlich unwahrscheinlich ist.

Es ist davon auszugehen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Mitglieder und Funktionäre spätestens dann zu einer Stärkung der links-grünen Strömung beitragen, oder eine neue liberale Partei unterstützen und andere den Weg zu einer neuen Linkspartei freimachen würden. Das heißt vielfältige Spaltung. Schon rechnerisch gesehen würde damit die Option einer SPÖ-FPÖ-Koalition wegfallen.

Eines steht fest: Die ÖVP hat ihren Beweis der Bereitschaft zu dieser unheiligen Allianz längst erbracht. Zur Erinnerung: Die Demontage Haiders und seiner FPÖ damaligen Zuschnitts kann nicht als nachträgliche Rechtfertigung Wolfgang Schüssels als "Drachentöter" dienen, sondern ist der antisozialen Selbstentzauberung Jörg Haiders - verstärkt durch Interessenpolitik von Gewerkschaften und Arbeiterkammern - zuzuschreiben.

Den rechtspopulistischen Nährboden hat Schüssels ÖVP mit ihrer Obstruktionspolitik gegenüber sozialen Reforminitiativen der SPÖ inzwischen ohnedies wieder gestärkt. In diesem tragikomischen Panorama heimischer Politik bleibt nur die Hoffnung auf die Stärkung erneuerter und diversifizierter linker Kräfte in Europa!

PS: Diese Einschätzung wurde durch den offenkundig schon länger vorbereiteten Koalitionsbruch der ÖVP und panikartige Veränderungen an der SPÖ-Spitze sowie dem daraus folgenden Neuwahlvorstoß der ÖVP eingeholt. Das Schielen nach der Mediengunst ersetzt nicht nur bei der SPÖ die Weiterentwicklung sozialdemokratischer Grundsätze, sondern auch bei der ÖVP die sozial-christlichen Prinzipien und demokratische Verfahren. Wenn man dieser Entwicklung nicht von innen und von außen dezidiert entgegentritt, droht eine gefährliche Aushöhlung der Demokratie - mit oder ohne EU-weiter Volksabstimmung. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2008)