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Erfahren und verwirrt zugleich: Neue Studien bescheinigen Österreichs Teenagern ein recht kompliziertes Verhältnis zu ihrer Sexualität.

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APA

Wien - "Einmal ficken, weiterschicken." Der Spruch kommt immer wieder, wenn Bettina Weidinger mit Schülern und Schülerinnen über Sex spricht. Aber sind die Jugendlichen wirklich so promiskuitiv und abgebrüht, haben viel früher Sex als die Generation ihrer Eltern? "Nein", sagt Sexualberaterin Weidinger, die Lebenswelt der Jugendlichen sei nicht so, wie die Erwachsenen sie interpretierten. Aber diese erste Generation, die mit Internet groß wird, werde mit "mehr verwirrenden sexuellen Bildern konfrontiert".

 

Ein Beispiel: Bei ihren Online-Beratungen stellten vor allem Burschen immer wieder "pornoinfizierte" Fragen, sagt Weidinger: über Sex mit Tieren, Penislängen, Stellungen.

Dass den Burschen Pornos als Haupt-Informationsquelle dienen, wird in der neuen Studie "Männliche Jugendliche: Sexualität und Aufklärung" des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung relativiert. Die meisten der 49 interviewten Buschen zwischen zwölf und 18 Jahren gaben zwar an, mit Freunden Pornos zu schauen, meinten aber, dass diese nur beschränkt als Informationsquelle taugten. "Aber", wird ein 17-Jähriger zitiert, "man sieht zumindest, wie es abläuft, ablaufen könnte."

"Porno" gegen "Treue"

"Pornografisierung" sieht auch Ingrid Kromer vom Österreichischen Institut für Jugendforschung (ÖIJ) als neuen Faktor in der Lebenswelt der Jugendlichen. Problematisch daran sei, dass häufig sexuelle Lust mit Lust an der Erniedrigung gleichgestellt werde. Dennoch: Bei der ÖIJ-Wertestudie lag bei der Frage, was für eine Beziehung wichtig sei, Sexualität erst an sechster Stelle. "Vertrauen" und "Treue" lagen viel weiter vorne.

Der Ablauf der sexuellen Erfahrungen hat sich kaum geändert: Erste feste Verabredung, erster Kuss, feste Freundschaft mit Petting und erst dann der Geschlechtsverkehr. Jedes zweite Mädchen und jeder zweite Bursche hat sich mit 13 Jahren schon verabredet, hat mit 14 Jahren schon einmal einen Partner geküsst, war mit 15 schon fest befreundet, verliebt oder hat Petting gemacht, hat mit 16 Genitalpetting gehabt und mit 17 das erste Mal Sex. Das durchschnittliche Alter des ersten Geschlechtsverkehrs hat sich (laut Untersuchungen über beide Geschlechter) zwischen 1963 und 1973 vom 21. auf das 17. Lebensjahr verlagert und sich nun zwischen 16 und 17 Jahren eingependelt.

Ganz neue Daten hat die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung (ÖGF) über das Verhütungsbewusstsein und -verhalten ihrer jungen Klientinnen in den First-Love-Beratungsstellen in der Wiener Rudolfsstiftung und im SMZ Ost ermittelt. In einer Studie, die im September erscheint, liegt das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs demnach bei knapp über 14 Jahren, bei Mädchen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ist es ein Jahr später.

"Es gibt viele 13-, 14-Jährige, die bereits sexuelle Erfahrungen haben, aber auch noch genügend 20-Jährige, die das erste Mal noch vor sich haben", sagt Bettina Weidinger. Das sei früher aber auch nicht anders gewesen. Weidinger: "In Wirklichkeit ist es immer noch eine Frage der Gelegenheit."

"First Love"-Ambulanzen wurden als Anlaufstellen für Mädchen geschaffen, die vor dem ersten Mal stehen, sich untersuchen lassen wollen, über die Pille und andere Verhütungsmittel nachdenken oder "kommen, wenn sie wissen wollen, ob sie schwanger sind", sagt Monika Morawitz, Sozialarbeiterin bei First Love. Die Institution wurde 2005 von 1200 Mädchen in Anspruch genommen, die wichtigsten Themen waren Empfängnisregelung (1018 Beratungen), Schwangerschaftskonflikte (466 Beratungen) und medizinische Probleme (420 Beratungen).

Abtreibende immer jünger

Immer jünger scheinen die Mädchen zu werden, die Abtreibungen vornehmen lassen. Das Ambulatorium am Fleischmarkt, Österreichs bekannteste Abtreibungsklinik, hat vor kurzem Alarm geschlagen: Die Zahl der 14- bis 19-Jährigen Mädchen hat sich in den letzten drei Jahren verdreifacht. 2005 lag deren Anteil noch bei vier Prozent - dieses Jahr sind es bereits 13 Prozent. Als Gründe nannte Klinikleiterin Elke Graf "fehlende und fehlerhafte Verwendung von Verhütungsmitteln", andererseits "mangelndes Bewusstsein".

Kennen sich die Jugendlichen bei Verhütung nicht aus? Kondom und Pille sind die am häufigsten verwendeten Verhütungsmethoden. Ein nicht unbedeutender Anteil hat Erfahrungen mit Coitus interruptus, geht aus der ÖGF-Studie hervor. 67,9 Prozent der First-Love-Klientinnen, die bereits Sex hatten, verhüten mit Kondom, 34,9 Prozent mit der Pille, 5,5 Prozent mit Hormonpflaster und 7,3 Prozent haben "aufgepasst".

2005 betrieb First Love im SMZ Ost auch eine Beratung für Burschen - nur ein einziger ist erschienen. Bewährt hat sich hingegen der Chat, den First Love betreibt.

Wie soll Beratung aussehen, damit sie von Burschen angenommen wird? Am wichtigsten sei, dass sich die Experten dorthin begeben, wo die Jugendlichen sind, lautet ein Ergebnis der "Männliche Jugendliche"-Studie - in Parks, Jugendzentren und auf Sportplätzen. Und: Die Burschen möchten unter sich bleiben, wenn über Liebe und Sex gesprochen wird. (Bettina Fernsebner-Kokert, Karin Pollack/DER STANDARD - Printausgabe, 5. Juli 2008)