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Ingrid Betancourt nach der Befreiung: Die Politikerin, die die französische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde als Kandidatin für die kolumbianische Präsidentschaftswahl 2002 von Farc-Rebellen entführt.

Foto: REUTERS/Leonardo Suarez

Fokus Kolumbien: Linke Rebellen und Drogenkriege

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"Kolumbianische Streitkräfte. Sie sind frei!" Mit diesen Worten endete die "Operation schachmatt", die spektakuläre Befreiung von Ingrid Betancourt und weiteren 14 Geiseln aus den Händen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc). In diesem Moment seien ihr die Tränen gekommen, und an Bord des Hubschraubers sei ein so großer Jubel ausgebrochen, dass der Helikopter schlingerte, schilderte die 46-jährige Politikerin kurze Zeit später der Presse. Denn bis zu diesem Zeitpunkt wussten die Entführten nichts von ihrem Glück.

"Um fünf Uhr morgens wurden wir wie immer geweckt und aufgefordert, unsere Sachen zu packen", erzählte Betancourt. "Ich hörte die morgendliche Sendung im kolumbianischen Radio für die Entführten, in der mir meine Tochter von einer bevorstehenden Reise nach China erzählte und meine Mutter von einem Flug nach Frankreich zu neuen Gesprächen über eine humanitäre Mission", schilderte Betancourt. "Es war alles wie immer. Später erzählte uns der Farc-Kommandeur von einer Verlegung in ein anderes Camp per Hubschrauber, aber wir warteten mehrere Stunden, und es passierte nichts.

Unbestimmte Hoffnung

Als die weißen Hubschrauber am Himmel auftauchten, kam in mir so eine unbestimmte Hoffnung auf eine humanitäre Mission auf, die sich aber schnell zerstäubte, als ich die Männer in ihren Che-Guevara-T-Shirts aussteigen sah, die wie Guerilleros redeten und uns fesseln ließen, bevor sie uns an Bord nahmen." Das Militär habe das Generalsekretariat der Farc infiltriert und mit einer Finte erreicht, dass die vorher in drei Gruppen getrennten Geiseln für eine angebliche Verlegung in der südwestlichen Dschungelprovinz Guaviare zusammengebracht würden, lüftete Verteidigungsminister Juan Manuel Santos das Geheimnis. Der Guerillakommandeur, dem die Geiseln anvertraut waren, schöpfte zu keinem Zeitpunkt Verdacht, sodass die von einem Dutzend Militärs und Geheimagenten durchgeführte Aktion reibungslos und filmreif vonstattenging.

Es fiel kein Schuss. Zwei Farc-Anführer, die mit an Bord gekommen waren, wurden von den Spezialeinheiten überwältigt, die übrigen 60 Guerilleros am Boden dürften erst Stunden später per Radio erfahren haben, dass sie an der Nase herumgeführt worden waren. "Es war eine perfekte Operation. Ich danke Gott und den Streitkräften dafür", war der erste Satz, den Betancourt nach ihrer Ankunft in Bogotá sagte.

Sie hatte noch dieselben Gummistiefel, die dunklen Jeans und die Tarnjacke an, die sie am Morgen im Dschungelcamp angelegt hatte, die Haare waren zu einer Zopffrisur geflochten. Sie war zwar abgemagert und von sechs Jahren Geiselhaft im Dschungel gezeichnet, aber die Augen der Politikerin strahlten vor Freude. Sie sei aus der Steinzeit zurückgekehrt in die Freiheit und Zivilisation, sagte sie.

Die erste, lange Umarmung galt ihrer Mutter, die in den sechs langen Jahren nie müde wurde, die Öffentlichkeit für ihre Tochter zu mobilisieren. Dann war die Reihe an ihrem zweiten Mann, Juan Carlos Lecompte, der ihr fürsorglich den schwarzen Marschrucksack von der Schulter nahm, in dem Betancourt ihre Dschungelausrüstung trug: Seife, Zahnbürste, Unterwäsche und ein Wörterbuch, das sie erbeten hatte. Der nächste Gruß galt Santos, dem sie für die mutige Entscheidung dankte, die ihrem Leidensweg ein Ende setzte.

Neben Betancourt wurden noch elf Militärs sowie drei US-Söldner aus den Händen der Farc befreit. Die drei Söldner wurden direkt in die USA ausgeflogen. US-Präsident George W. Bush gratulierte seinem Amtskollegen Álvaro Uribe per Telefon zur Aktion. In Bogotá kam es zwar zu spontanen Freudenkundgebungen auf der Straße, noch befinden sich aber 24 politische Gefangene in der Hand der Guerilla sowie mehrere hundert Menschen, die zur Erpressung von Lösegeld entführt wurden.

"Guerilla schachmatt"

Der Kommandeur der Streitkräfte, Mario Montoya, versprach, sich für die Freiheit aller Entführten einzusetzen. Seinen Worten zufolge ist die Guerilla, die in den vergangenen Monaten den Tod ihres Anführers Manuel Marulanda sowie mehrerer Führungskader hinnehmen musste, "schachmatt". Betancourt wollte diese optimistische Auffassung nicht ganz teilen, erzählte aber von deutlichen Problemen in der Logistik der Aufständischen. Es habe seit einiger Zeit Probleme mit dem Nachschub an Nahrung und Kleidung gegeben. Entgegen den Bedenken ihrer Familie, die sich immer gegen eine militärische Befreiungsaktion gesträubt hatte, verteidigte Betancourt die Aktion. Dies sei zwar riskant, aber aus Sicht der Geiseln besser, als im Dschungel langsam dahinzusiechen oder von der Guerilla hingerichtet zu werden. (Sandra Weiss/ DER STANDARD Printausgabe, 4.7.2008)