Den Haag/Wien – Statt eines Prozesses wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) erwartet den ehemaligen kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga möglicherweise die vorläufige Freiheit. Die Richter haben am Mittwoch die Freilassung des Angeklagten angeordnet. Unsicher ist bis dato, ob diese Entscheidung auch umgesetzt wird: Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag dagegen berufen. Jetzt müssen die Richter klären, ob die Freilassung aufgeschoben wird, bis über den Einspruch entschieden ist. Das werde "sehr rasch" geschehen, hieß es am Donnerstag in Den Haag.

"Eine Freilassung würde nicht bedeuten, dass die Vorwürfe gegen Lubanga fallengelassen werden" , betont eine Sprecherin des IStGH. Trotzdem käme das nach Meinung von Beobachtern einer Blamage des Gerichtshofs gleich, der sechs Jahre nach seiner Konstituierung mit Lubanga den ersten Prozess aufnehmen wollte.

"Logische Konsequenz"

Die Freilassung sei die "logische Konsequenz" aus dem Stopp des Verfahrens gegen Lubanga vor rund drei Wochen, begründeten die Richter ihre Entscheidung. Es sei derzeit "unmöglich, ein faires Verfahren für den Angeklagten zu gewährleisten" , wie es in einer Aussendung des Gerichts heißt.

Hintergrund ist ein Streit über den Zugang der Verteidigung zu Dokumenten der Anklage. Das Gericht hatte der von Luis Moreno-Ocampo geleiteten Anklage vorgeworfen, der Verteidigung möglicherweise entlastendes Material vorenthalten zu haben – und das Verfahren auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf Regelungen im Statut, wonach sie Informationen vertraulich behandeln kann, wenn diese der Sammlung weiterer Beweise dienen. Im konkreten Fall geht es um mehr als 200 Dokumente – unter anderem der Vereinten Nationen –, über die Vertraulichkeit vereinbart worden ist und zu denen weder die Richter noch die Verteidigung Zugang haben.

Lubanga werden die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten für den militärischen Arm seiner Union Kongolesischer Patrioten (UPC) und Kriegsverbrechen in der Provinz Ituri im Osten der Demokratischen Republik Kongo vorgeworfen. Er war 2005 im Kongo festgenommen und im März 2006 als erster Gefangener des IStGH nach Den Haag überstellt worden. Der Prozess ist bereits mehrfach verschoben worden. Zuletzt hätte er Ende Juni beginnen sollen. (raa/DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2008)