Neuwahlen oder Weiterwurschteln – keine Variante klingt verlockend.

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In den vergangenen Tagen hat Werner Faymann kalt-warm bekommen – nicht nur von seinen Kritikern. Der Wechsel zwischen klimatisierten Räumen und praller Sonne bescherte dem geschäftsführenden SPÖ-Chef eine schwere Erkältung. Auf ärztlichen Befehl muss Faymann das Bett hüten.

Zwischen Kalt und Warm schwankt auch die Stimmung in der SPÖ. Die Kehrtwende in der Europapolitik – Volksabstimmungen bei EU-Verträgen – stößt auf Zustimmung und Ablehnung (vor allem, was die Verkündigung via Brief an die Kronen Zeitung betrifft), und auch über die eigene Zukunft sind sich die Sozialdemokraten im Unklaren. Zur Auswahl steht die Flucht in Neuwahlen – oder eben das Weiterwurschteln in der Regierung.

Minister als Statisten

Der ungewöhnliche Auftritt vom Dienstag lässt sich in beide Richtungen interpretieren. Eine halbe Stunde lang ließ Alfred Gusenbauer seine Minister (minus Faymann) in einem von Scheinwerfern gut aufgeheizten Saal des Bundeskanzleramts stumm schwitzen, um selbst Altbekanntes zu verkünden: Um die Teuerung zu lindern, werden Schlechtverdienern ab 1. Juli Arbeitslosenbeiträge erlassen, und Pendlerpauschale sowie Kilometergeld werden erhöht. Inoffizieller Wahlkampfauftakt? Oder eine Demonstration der eigenen Arbeitsfähigkeit, um die Koalition zu erhalten?

Offiziell redet Josef Cap der zweiten Variante das Wort. Nein, die Koalition stehe nicht an der Kippe, beteuert der SPÖ-Klubobmann, "denn von unserer Seite gibt es das Bemühen, Sachthemen vor dem Sommer abzuarbeiten. Wenn die ÖVP bei manchen Themen – wie etwa der Gesundheitsreform – intern nicht einig ist, hat das mit der Koalition nichts zu tun." Cap schließt auch aus, dass man mit der Opposition Anträge im Nationalrat – etwa für Volksabstimmungen über EU-Verträge – beschließen könnte. Wie im Koalitionspakt vereinbart, werde man sich im Parlament nicht gegenseitig überstimmen, verspricht der Klubobmann. "Das gilt für alle Bereiche."

Dass es der SPÖ bei ihrer Wende in der Europapolitik darum gehe, die ÖVP zu provozieren, bis diese vielleicht selbst die Koalition aufkündige, weist Cap zurück: "Nein, überhaupt nicht." Aufgrund der dramatischen Entwicklungen nach dem Nein der Iren zum Vertrag von Lissabon habe man reagieren müssen. Die von der ÖVP "maßgeblich mitgestaltete Außenpolitik" habe zu einer EU-Zustimmung von nur mehr 28 Prozent geführt. So könne es nicht weitergehen, sagt Cap – relativiert aber gleichzeitig den Vorstoß der eigenen Partei. Es gehe nur darum, dass man für die Zukunft Volksabstimmungen nicht mehr kategorisch ausschließe, sagt er: "Die Aufregung ist daher eine künstliche." So müsse etwa nicht zwingend über einen Beitritt Kroatiens zur EU abgestimmt werden: "Es gibt keine Abstimmungsautomatik."

Stimmen für Neuwahlen

Hinter vorgehaltener Hand plädieren manche Stimmen in der SPÖ aber sehr wohl dafür, das Glück in Neuwahlen zu suchen. Die Flucht nach vorn sei Faymanns einzige Chance, aus dem Schlamassel herauszukommen, meinen etwa Sympathisanten in der Wiener Partei. Denn je länger die Agonie in der großen Koalition noch andauere, desto stärker werde auch das Image des designierten SPÖ-Chefs Schaden nehmen.

Der Haken: Die SPÖ liegt nicht nur in den Umfragen schlecht, sondern muss auch noch die offene Machtfrage klären. Neben Parteichef Faymann werkt Gusenbauer nach außen hin unverdrossen als Kanzler weiter. Stünden im September Neuwahlen an, kämen die Sozialdemokraten unter Zugzwang. Doch freiwillig – das versichern viele, die Gusenbauer kennen – werde der Regierungschef niemals das Feld räumen. Zum Wahlkampfauftakt würden sich die Roten erst einmal selbst bekriegen – keine gute Voraussetzung für einen Wahlsieg.

Gelegenheiten für eine klare Entscheidung sollte es geben. Am 7.Juli tagt das Präsidium der SPÖ. Und wieder einmal ist von einem "Lostag" die Rede. (von Gerald John und Günther Oswald/DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2008)