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Aktivisten protestieren vor der Moskauer Staatsanwaltschaft gegen die Zensur zeitgenössischer Kunst

Foto: Reuters/Denis Sinyakov
Moskau – Erneut erschüttert ein Skandal die russische Kulturszene. Andrej Jerofejew, Kurator für moderne Kunst an der berühmten Tretjakow-Galerie, wurde von seinem Arbeitgeber entlassen. Als Grund nannte der Direktor der Tretjakow-Galerie, Valentin Rodionow, dass Jerofejew seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllte.

Dabei wurde Jerofejew schon seit Monaten an der Erfüllung seiner Aufgabe behindert. Der in Paris geborene Diplomatensohn, der 2002 die Leitung der neu geschaffenen Abteilung für zeitgenössische Kunst übernahm, wollte das "sowjetisch offiziöse Museum" mit seiner "nonkonformistischen Kunstauffassung" modernisieren. Beim Publikum waren die Ausstellungen Jerofejews äußerst beliebt. Doch anstatt eines Ordens brachte ihm dieser Erneuerungsversuch eine Anklage wegen Volksverhetzung ein.

Stein des Anstoßes war die Ausstellung "Verbotene Kunst 2006", die Jerofejew im März 2007 im Moskauer Sacharow-Zentrum organisierte. Jerofejew stellte 24 Kunstwerke aus, die in den Jahren 2005 und 2006 der Zensur durch seine Vorgesetzten zum Opfer fielen. Im gleichen Kulturzentrum zerstörten 2003 religiöse Fanatiker und Rechtsradikale die Ausstellung "Achtung Religion". Danach wurden allerdings nicht die Randalierer belangt, sondern die Veranstalter zu einer Geldbuße verurteilt.

Kunst als Peep-Show

Doch der Kurator, der vom Kunstmagazin Artchronika zur einflussreichsten Person in der russischen modernen Kunst gewählt wurde, ließ sich nicht abschrecken. Die Werke, die etwa ein McDonald's-Plakat mit Jesus-Gesicht, küssende Polizisten im Birkenwald und eine tschetschenische Marilyn Monroe mit Sprengstoffgürtel zeigten, wurden dennoch ausgestellt. Wenn auch als Sicherheitsmaßnahme hinter weißen Schutzwänden versteckt. Nur durch ein kleines Loch konnten die Besucher die Gemälde betrachten.

Trotzdem fühlten sich ultraorthodoxe und nationale Gruppierungen angegriffen und erstatteten Anzeige gegen Jerofejew und Juri Samodurow, den Leiter des Moskauer Sacharow-Museums. Die Moskauer Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten "Erniedrigung der Menschenwürde" vor. Die Exponate würden das Weltbild der Betrachter verändern und zu traumatischen Eindrücken führen, so die Anklage. Das Verfahren soll in den nächsten Wochen beginnen.

Der 52-Jährige Jerofejew bezeichnet seine Entlassung als "die logische Vollendung der Operation, deren Sinn darin bestand, Widerstand gegen die Modernisierung zu leisten". "Unser Modernisierungsprogramm konnte die Tretjakowskaja nicht so schlucken, sie hat sich verschluckt und es erbrochen", schreibt Jerofejew auf seiner Homepage. Für seinen Chef hatte Jerofejew wenig schmeichelhafte Worte übrig: "Rodionow ist kein Kunstexperte und auch kein Manager, sondern wie ein ehemaliger sowjetischer Verwalter, der sich in der Tretjakow-Galerie auf Rente befindet". (Verena Diethelm/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 7. 2008)